Für Deutschland ist es klar: In Irland, Spanien, Portugal und Zypern haben die Hilfsprogramme im ersten Anlauf gegriffen. Die Länder sind heute aus dem Schneider und können wieder auf eigenen Beinen stehen – das heisst: sich am Kapitalmarkt finanzieren. In Griechenland läuft aber schon das dritte Programm. Das meiste, worum es in der dritten Darlehensvereinbarung geht, war bereits Bestandteil des ersten und zweiten Programms. Es wurde aber nicht oder nur halbherzig umgesetzt. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft folgert deshalb messerscharf, dass die Ursache für das Andauern der Krise in Hellas die „mangelnde Bereitschaft zur Umsetzung der Reformen in der Politik und der Bevölkerung“ sei.
Tatsächlich ist wieder Streit um die Umsetzung der Darlehensvereinbarung entbrannt. Griechenland bremst bei der Umsetzung der Reformen und die Geldgeber sind verstimmt. Das Gespenst des Grexit geht wieder um. Noch hat man sich nicht gefunden. Die nächste grosse Tranche wird aber erst im Sommer zur Refinanzierung fällig. Verstimmung prägt auch das Verhältnis zwischen dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und den europäischen Geldgebern.
Kritisches aus IWF-Kreisen
Auf der anderen Seite steht zum Beispiel Olivier Blanchard, bis 2015 Chefökonom des IWF. In einer Präsentation hielt er 2010, zu Beginn der Laufzeit des ersten Programms, ganz klar fest, dass die vereinbarten Sparziele nicht zu erreichen seien und dass das vereinbarte Rettungsprogramm selbst dann scheitern werde, wenn Griechenland es ganz strikt umsetzen würde.
Was bedeutet das? Das bedeutet, dass die Geldgeber das Rettungsprogramm von allem Anfang an falsch aufgezogen haben und sich seither wie ein Arzt benehmen, der die falsche Medizin verschreibt und den Patienten dafür tadelt, dass er sie nur inkonsequent einnimmt. Der Patient merkt, dass ihm die Medizin nicht gut tut und versucht sich dieser zu verweigern; andere Ärzte sprechen sich gegen die Therapie aus und der Streit ist bis heute nicht beigelegt.
Kürzlich ist die Präsentation von Blanchard an die Öffentlichkeit durchgesickert. Dem Ökonomen ist schon lange der Kragen geplatzt: „Ich habe es nicht geleaked, aber ich bin nicht unglücklich, dass es geleaked wurde,“ twitterte er. Aus diesem Grund plädiert die Washingtoner Institution schon länger für einen Schuldenschnitt, aber mit verstärkten Strukturreformen.
EU-Geldgeber gegen Schuldenschnitt
Die europäischen Geldgeber wollen das nicht. Seit dem kleinen Schuldenschnitt zulasten der Privatgläubiger vor drei Jahren liegt der Grossteil der griechischen Staatsanleihen bei öffentlichen Gläubigern, vor allem bei der Europäischen Zentralbank und beim Europäischern Rettungsmechanismus. Und die Politiker wollen den Bürgern nicht sagen, dass dieses Geld verloren ist. Sie hoffen, dass sie nicht mehr im Amt sind, wenn der Tag der Wahrheit kommt.
Gerade Deutschland profitiert selbst dann von den Rettungsprogrammen, wenn es alle Gelder vollständig abschreiben muss; das wurde an dieser Stelle bereits dargelegt. Aber in Deutschland schreiben die Medien vor allem davon, dass die Griechen auf Kosten der Deutschen leben – ein verzerrtes Bild.
Sieben Krisenjahre nach 1929
Was ebenfalls gegen die Architekten der drei Darlehensvereinbarungen spricht, ist der Vergleich mit anderen Krisen. Bei der Weltwirtschaftskrise, die 1929 ausbrach, gerieten – zeitverschoben – Deutschland und die USA ebenfalls in eine Depression von vergleichbarem Ausmass, gemessen am Einbruch der Wirtschaftsleistung. Aber irgendwann war die Krise vorbei, obwohl man damals geldpolitisch noch weniger darüber wusste, wie mit solchen Krisen umzugehen ist. Im Jahr sieben nach Ausbruch der Krise war das Vorkrisenniveau praktisch wieder erreicht.
Bei Griechenland ist es anders: Im Sommer sind es neun Jahre, seit die Krise einsetzte. Das Land stürzte ab – und blieb unten liegen. Die Wirtschaftsleistung ging stark zurück, aber in den Jahren 2015 und 2016 bewegte sich das Wachstum praktisch genau um die Nulllinie. Die Regierung prognostiziert für das laufende Jahr ein hohes Wachstum. Woher sollen die Impulse dazu kommen? Es ist zu befürchten, dass es wieder nichts wird damit.
Unumgänglicher Schuldenerlass
Im Moment wird wieder über die Umsetzung der Reformen im Rahmen der im Juli 2015 vereinbarten Darlehensvereinbarung verhandelt. Man wird sich wohl irgendwann finden und die Gelder, die erst im Sommer benötigt werden, sollten ausgezahlt werden. Kritisch wird das Jahr 2018. Die Darlehensvereinbarung sieht einen Primärüberschuss von nicht weniger als 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung vor. Gemäss IWF hat das noch kein Industrieland geschafft. Woher sollen das Wirtschaftswachstum und die gleichzeitig sprudelnden Steuereinnahmen kommen?
Das Land wird als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ziele der dritten Darlehensvereinbarung wiederum verfehlen. Und dann wird eine weitere Darlehensvereinbarung folgen – oder man wird endlich vernünftig und gewährt dem Land einen Schuldenerlass, der die Schulden auf ein nachhaltig tragbares Niveau drückt.
Was diese Diskussion so schwierig macht ist die Tatsache, dass die Griechen bisher immer vor allem diejenigen Reformen umsetzten, die zwar das Budget konsolidierten – Lohn und Rentenkürzungen – aber um die Strukturreformen, die Wachstum schaffen würden, einen grossen Bogen machten. Diese Reformen hätten zwar etwas geholfen, aber auf eigenen Beinen stehen könnte das Land trotzdem nicht. Das ist, was die IWF-Studie lehrt. Und diese Erkenntnis ist schon sieben Jahre alt! Die Erkenntnisse der Kieler Studie lassen sich hingegen nicht begründen.