„Diese Frau ist das Symbol dieser Stadt“, schwärmt Fellini 1972. „Sie ist alles: Aristokratin, Wölfin, Priesterin der Göttin Vesta und Aschenbrödel“. Sie gilt als die grösste Charakterdarstellerin des italienischen Films. Als erste Italienerin gewinnt sie 1956 einen Oscar als beste Hauptdarstellerin.
„Sie ist die wichtigste Ikone des neorealistischen italienischen Kinos“, sagt Mario Sesti. Er ist der Kurator der Ausstellung „Anna Magnani, la vita e il cinema“, die an diesem Wochenende in Rom eröffnet wurde.
Gezeigt werden bisher unbekannte Fotos, unveröffentlichte Filmproben, Briefe und andere Dokumente. Viel Intimes ist zu sehen. Mario Sesti hat alles in jahrelanger Arbeit im Archiv des „Centro Sperimentale Cineteca Nazionale“ und im „Istituto Luce Cinecittà“ aufgespürt. In voller Länge werden drei Filme gezeigt: „Bellissima“ von Luchino Visconti, „Mamma Roma“ von Pier Paolo Pasolini und „L’amore“ von Roberto Rossellini.
Er, Rossellini, der grosse Regisseur, war lange Zeit ihre grosse Liebe. Mit ihm drehte sie schon 1945 den neorealistischen Klassiker „Roma città aperta“. Doch Rossellini – und das ist eines der Dramen ihres Lebens – verlässt sie für Ingrid Bergman.
Zu ihren besten Freunden gehörten Tennessee Williams, Bette Davis, Sidney Lumet und Marlon Brando. Mit ihm drehte sie den Film „Schlangenhaut“. Bei den Aufnahmen küsste sie Brando derart heftig, dass seine Lippen zerbissen werden.
Anna Magnani war nicht nur der umschwärmte Star, sie war auch eine Verlassene, eine Einsame. Sie liebte es, sich in ihre Wohnung im Palazzo Artioli im Zentrum von Rom, zurückzuziehen. „Ich liebe es, tagelang allein zu sein. Ich langweile mich nie. Doch auch wenn ich nicht allein bin, bin ich in meinem Innern oft allein.“ Immer wieder zog sie in ihr geliebtes Haus am Meer in San Felice Circeo zwischen Rom und Neapel. Sie spielte Gitarre und liebte ihre Hunde.
Ihr Privatleben schützte sie vor den Paparazzi. Es gab keine Homestorys über sie. Sie räkelte sich nicht für die Fotografen am Strand. Sie liess sich nicht von der Boulevardpresse in den Restaurants ablichten und führte ihren kleinen Sohn nicht vor. „Sie hat eben Klasse, sie ist geheimnisvoll“, sagte Roberto Rossellini.
Anna Magnani wird am 7. März 1908 geboren und wächst in ärmlichen Verhältnissen in Rom auf. Den Vater kennt sie nicht. Die Mutter verstösst sie und schickt sie zur Grossmutter. In Nachklubs tritt sie als Sängerin auf, verdient so etwas Geld, um sich eine Schauspielausbildung leisten zu können.
Ihren ersten grossen Auftritt hat sie 1941 in Vittorio de Sicas Film „Teresa Venerdì“. Der Durchbruch kommt 1955. Für ihre Hauptrolle in der Tennessee Williams-Adaption „Die tätowierte Rose“ (La rosa tatuata) gewinnt sie als erste Europäerin den Oscar als beste Hauptdarstellerin.
Zwei Jahre später wird sie wieder für einen Oscar nominiert. In George Cukors Film „Wild ist der Wind“ spielt sie – neben Anthony Quinn – die Hauptrolle. Für diesen Auftritt erhält sie 1958 in Berlin den Silbernen Bären. Insgesamt tritt „La Magnani“ in rund 30 Filmen auf und wird mit Preisen überschüttet. Sie ist eine der wenigen Italienerinnen, die auf dem Hollywood Walk of Fame einen Stern hat. Als Juri Gagarin an Bord der Wostok 1 am 12. April 1961 die Erde umrundete, sagte er in seiner Botschaft: „Ich grüsse die Menschen, die Brüder sind, ich grüsse die Welt der Künste, und ich grüsse Anna Magnani.“
Für viele grosse Regisseure ist sie aufgetreten, nur nicht für Fellini. Das wollte der grosse Meister kurz vor ihrem Tod nachholen und liess die Schwerkranke in seinem Film „Roma“ für einige Sekunden auftreten.
Sie stirbt am 26. September 1973 mit 65 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs. An ihrem Sterbebett befinden sich ihr Sohn Luca und Roberto Rossellini, mit dem sie in den letzten Jahren erneut verkehrte. Begraben ist sie in San Felice Circeo. An der Begräbnisfeier nehmen hunderttausend Menschen teil. Noch heute nennen sie die Römer liebevoll „La Nannarella“.
Die Ausstellung „Anna Magnani. La vita e il cinema“ findet im Römer Vittoriano an der Piazza Venezia statt, dem Nationaldenkmal für König Vittorio Emanuele II. Sie dauert bis zum 22. Oktober. Der Eintritt ist gratis.