Meine Grosseltern mütterlicherseits lebten in einem schmucken Dorf vor den Toren der Stadt. Neben ihrem Riegelhaus wohnte Herr Stüssi, ein Schreiner. Er betrieb eine kleine Werkstatt. Dort fabrizierte er, was Schreiner so fabrizieren: Tische, Stühle – und Särge. Das Dorf hatte immerhin ein paar Hundert Einwohner, und da stirbt immer wieder mal wer.
Mein Grossvater hasste Herrn Stüssi, und Herr Stüssi hasste meinen Grossvater. Weshalb, wurde mir nicht erzählt. Eines war klar: Mein Grossvater wollte nie in einem Sarg „von diesem Stüssi“ begraben werden.
So ging er denn ins Nachbardorf, kaufte dort Bretter und zimmerte sich in seiner Freizeit seinen Sarg. Da er selbst nicht Schreiner war, dauerte die Fertigstellung mehrere Monate. Immer wieder probierte er den Sarg an. Er legte sich hinein, rief die Familie und fragte spitzbübisch, ob er gut darin aussehe. Ja, er sehe gut darin aus, sagte meine Grossmutter. Und mein Grossvater stieg glücklich aus seiner Kiste.
So gingen die Jahre dahin. Der Sarg wurde auf den Estrich gestellt und diente jetzt als Ablage für Dörrfrüchte. Meine Grossmutter rief ihren Kindern immer wieder zu: Holt mir doch aus dem Sarg einige Zwetschgen. Der Sarg gehörte jetzt zur Familie wie die Katze hinter dem Ofen.
Eines Abends sassen meine Grosseltern am Stubentisch zusammen. Sie hatten schon gegessen. Mein Grossvater rauchte seine tägliche Zigarre und war zufrieden. Da klopfte es an der Tür.
Meine Grossmutter öffnete und erschrak. Vor der Tür stand Herr Stüssi. „Lass ihn nicht herein, diesen Lump“, rief mein Grossvater. Doch Herr Stüssi wollte eintreten und meinen Grossvater sprechen. Meine Grossmutter ahnte Schlimmes.
Herr Stüssi war ganz ruhig. „Ich möchte dich um etwas bitten“, sagte er verlegen zu meinem Grossvater. „Im Dorf sind vier Leute fast gleichzeitig gestorben.“ Mein Grossvater starrte aufs Tischtuch. „Da wächst mir die Arbeit über den Kopf“, fuhr Herr Stüssi fort. „Vier Särge aufs Mal, das schaffe ich nicht, deshalb wollte ich dich fragen ... dürfte ich nicht ... dürfte ich nicht ... deinen Sarg haben?“
Lange bleierne Sekunden vergingen. Mein Grossvater schaute noch immer aufs Tischtuch. Dann endlich blickte er auf: „Also hol ihn dir, aber lass die Zwetschgen hier.“
Meine Grossmutter nahm eine Flasche Kirsch aus dem Schrank und bat Herrn Stüssi, sich hinzusetzen. So sassen sie denn beide da, mein Grossvater und Herr Stüssi – und tranken einen Schluck Kirsch. Und alles wurde gut.