Michael Haefliger gab den Namen des neuen Künstlerischen Gesamtleiters der Lucerne Festival Academy bekannt.
Immer präsent
Wolfgang Rihm, einer der bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten wird nun weiterführen, was Pierre Boulez vor elf Jahren ins Leben gerufen hat. Der Dirigent und Komponist Matthias Pintscher wird Rihm als „Principle Conductor“ zur Seite stehen. Pierre Boulez selbst, dessen 90. Geburtstag das Lucerne Festival noch vor wenigen Tagen mit einem Konzert-Marathon von mittags bis in den Abend gefeiert hat, wird der Academy auch weiterhin und trotz gesundheitlicher Probleme als Ehrenpräsident erhalten bleiben. „Er ist auch da, wenn er nicht da ist“, so Michael Haefliger.
Damit ist es Haefliger gelungen, auch für die Academy ein hochkarätiges Leitungsteam zu engagieren, nachdem er kurz zuvor Riccardo Chailly als neuen Chefdirigenten des Lucerne Festival Orchestras präsentiert hatte.
Dialogische Leitung
Rihm und Pintscher freuen sich ganz offensichtlich auf ihre neue Aufgabe, die 2016 beginnt und vorläufig auf fünf Jahre begrenzt ist. Beide sind seit Jahren mit dem Lucerne Festival und der Academy vertraut und haben die Planung gleich an die Hand genommen. 2017 wird die Academy die Handschrift der beiden tragen.
„Eine Akademie kann heute nur der Ort des Un-Akademischen sein“, erklärt Wolfgang Rihm. „Vor dem Hintergrund fragloser technischer Bewältigung ist es nicht das Ziel, die ‚auswendigen‘ Fertigkeiten der jungen Künstler zuzuschleifen, wohl aber ihre ‚inwendigen‘ Fähigkeiten zu vertiefen.“ Zu wissen, dass man etwas tatsächlich realisieren kann, sei die beste Voraussetzung, um die Fantasie in Gang zu setzen.
Und wie werden sich Rihm und Pintscher die Leitung aufteilen? „Matthias dirigiert, ich nicht“, scherzt Rihm und meint dann: „Wir werden das sehr dialogisch machen. Das entspricht auch meinem Wesen. Wir werden im Team entscheiden, natürlich auch gemeinsam mit Michael Haefliger, der das Ganze ermöglicht hat. Wir wollen in der Academy den Blick in die Zukunft richten und zwar auf der Basis und mit der Erkenntnis der Gegenwart.“
Akademie ist Dialog
Ganz wichtig ist für Rihm die „Tradition der Moderne“. „Die Moderne hat eine Tradition, in der sie wurzelt. So verstehe ich auch die Academy“. Und dies will er seinen Studenten vermitteln. „Es begegnen sich kulturelle Sphären der Kenntnis und des Könnens und sie formen und steigern einander in ihrem Verstehens- und Realisationspotential. Akademie ist Dialog“, so Wolfgang Rihm.
Noch in den Siebziger-Jahren hätten Musiker in den grossen Orchestern gesessen, die mit neuerer Musik gar nichts anfangen konnten. „Für diese Musiker war Richard Strauss schon dubios und dann kamen wir neue Komponisten und die Musiker fanden das ganz schrecklich und so klang es dann auch, wenn sie spielten. Sie waren unsere natürlichen Gegner! In der heutigen Musikergeneration ist das ganz anders.“
Arbeit mit Komponisten
Das bestätigt auch Matthias Pintscher. „Junge Musiker kommen in die Academy, weil sie einen Dialog suchen, weil sie neue Musik überprüfen wollen. Sie haben eine kritische Haltung, die mich sehr begeistert.“ Pintscher will auch die Zusammenarbeit des Academy Orchesters mit dem hervorragenden Ensemble Intercontemporain verstärken, dessen Leiter er seit zwei Jahren ist.
Rund 130 junge Musikerinnen und Musiker kommen im Sommer in die Festival Academy. Viele von ihnen komponieren auch. „Ich werde ganz stark gerade auch mit den Komponisten arbeiten“, sagt Rihm. Diese Gleichzeitigkeit von Interpretieren und Komponieren in der Academy, sei sehr wertvoll. „Für junge Interpreten kann es ungemein erhellend sein, mit Komponisten ihrer eigenen Zeit zu arbeiten. Oft verstellen eingeübte Fehlsichten den Zugang zur Realität eines Notentextes. Im Gegenzug ist für junge Komponisten die Begegnung mit der Praxis wichtig.“
Volles Engagement
Wolfgang Rihms Beziehung zum Lucerne Festival geht weit zurück. „Schon vor dem Bau des KKL hat Paul Sacher vor dem Löwendenkmal meine Stücke aufgeführt“, erzählt er. „Dann war ich ‚composer in residence‘ im damaligen Provisorium in der von Roll-Halle.“ Schwierig sei es damals gewesen und oft auch eng. Aber fulminante Aufführungen zeitgenössischer Musik hätte es damals schon gegeben.
Und dann kam das KKL und die Academy. „Pierre Boulez hat sich unheimlich stark eingebracht“, sagt Michael Haefliger. Boulez sei den ganzen Tag dort gewesen, am Mittag war er nur mal kurz weg und auf einen Chauffeur habe er auch verzichtet.
„Ich notiere“, sagt Rihm, lacht und zückt sein Notizbüchlein. „40 Minuten Salat am Mittag, Verweigerung des Chauffeurdienstes… aber ich fahre ja auch jetzt schon immer mit dem Bus…“ Als Nachfolger von Pierre Boulez scheint Wolfgang Rihm also auch aus diesem Aspekt genau der Richtige zu sein.