Die Frühlingsüberraschung kam für uns in Form einer Steuergutschrift. Plötzlich teilte uns die griechische Steuerverwaltung mit, wir hätten einen erklecklichen Betrag zugute und dieser traf dann auch umgehend auf unserem Konto in Athen ein.
Nach längerem Raten kamen wir darauf, was wohl der Grund dafür ist. Meine Frau hat vor einigen Jahren für eine kürzere Zeitspanne wieder in Griechenland gearbeitet. Dabei wurde ihr Quellensteuer abgezogen. Da wir uns damals in einer tiefen Steuerklasse befanden, wussten wir, dass wir einen grossen Teil des abgezogenen Betrages wieder zugute haben. Die Steuerkommissärin wollte uns deshalb mehrmals treffen. Sie bedeutete uns, dass sie uns bei dieser Steuerrückforderung helfen könnte, dass das aber kompliziert sei.
Wir verstanden ziemlich schnell, dass ein gutes Trinkgeld dies beschleunigen würde, sind aber nicht darauf eingetreten. Darauf wurden neue Hindernisse aufgebaut. Wir liessen die Sache dann auf sich beruhen und vergassen den Fall. Offensichtlich war die Gutschrift aber in den Systemen der Steuerverwaltung registriert und konnte nur durch Auszahlung ausgeglichen werden. Irgendwann musste dann die Beamtin einsehen, dass es da nichts an Schmiergeldern zu holen gibt, und die Steuerverwaltung zahlte den Betrag zurück.
„λάδωμα“, „παραθυράκια“ und „γρηγορόσημο“
Solche Praktiken sind in Griechenland alltäglich. Beschleunigungszahlungen („γριγορόσιμο“) und Schmiergelder („λάδωμα“) sind im ganzen öffentlichen Sektor allgegenwärtig, und den Beamten und Steuerkommissärinnen fehlt bis heute jegliches Unrechtsbewusstsein. Und dass sie dafür zur Rechenschaft gezogen würden, wäre mir neu.
Ein zweites Beispiel: Eigentlich wäre es für mich sinnvoll, ein Auto mit griechischem Kennzeichen zu fahren, denn wir sind oft in Hellas. Ich fahre aber mit einem in der Schweiz gemeldeten Fahrzeug hin und her. Finanziell würde sich die Lösung mit dem griechischen Kennzeichen wohl lohnen. Der einzige Grund, warum ich es nicht tue, besteht in der Tatsache, dass ich mich nicht zusätzlich mit der griechischen Bürokratie beschäftigen will. Damit entgehen dem dortigen Fiskus natürlich Einnahmen.
Mit dem Einhalten von Regeln ist es in Griechenland so eine Sache. Gesetze sind extrem kompliziert formuliert und die Regeln oft unklar und kaum praktikabel. Anstatt die Gesetze zu entrümpeln, toleriert es der griechische Staat, dass Regeln oft nicht eingehalten oder gedehnt werden, wenn es in den Kram passt oder schnell gehen muss. Oft baut er Möglichkeiten dazu gleich selber ein. Fensterchen, nennt man das auf Griechisch – „παραθυράκια“.
Die Griechinnen und Griechen haben in den letzten Jahrzehnten gelernt, mit diesen grossen und kleinen Phänomenen umzugehen. Ich las in einem internationalen Bericht über Korruption, ein Drittel der Griechen hätten schon einmal Schmiergelder gezahlt. Ich behaupte: Es sind annähernd 100 Prozent! Aber bei ausländischen Investoren sind solche Dinge je länger je mehr verboten und verpönt. Diese Praktiken sind also ein echter Hinderungsgrund für ausländische Investitionen, die Griechenland bitter nötig hat. Die linksradikale Regierung von Alexis Tsipras hat grosse Fortschritte in der Bekämpfung der Steuerhinterziehung erzielt. Es geht also. Warum passiert bei Korruption und Bestechung nichts?
Das neue Wachstumsmodell
Im letzten Beitrag habe ich geschrieben, dass bislang griechische Regierungen jeglicher Couleur die Wirtschaft immer dadurch gefördert haben, indem sie staatliche Gelder in den Privatkonsum geleitet haben – meist auf Pump. Die zweite Methode bestand darin, die Aufnahme von Darlehen zu erleichtern, die dann auch umgehend konsumiert oder in Fahrzeuge oder Immobilien investiert wurden. Die Zahlungsbilanz war hingegen chronisch defizitär. Wäre das Land nicht der Eurozone beigetreten, wäre hier früher ein Kurswechsel in Form einer Abwertung erzwungen wurden. Wurde privat investiert, dann sind diese Gelder meist in Wohnungen und Fahrzeuge geflossen, aber kaum je in produktive Sektoren. Heute drücken die Staatsschulden, und die notleidenden Darlehen liegen zentnerschwer auf den Bankbilanzen. Beim Aussenhandel geht es hingegen heute besser: Die Lohnkürzungen haben das Land in vielen Bereichen wieder kompetitiv gemacht – aber zu welchem Preis?
Eine Studie des griechischen Wirtschafts- und Industrieforschungsinstituts IOBE kommt nun zum Schluss, dass hier ein kompletter Paradigmawechsel vonnöten ist. Die Studie zeigt klar, dass die Voraussetzung für einen nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung darin besteht, die strukturellen Schwächen aus der Vorkrisenzeit endlich anzugehen und zu beseitigen. In diesen Spalten habe ich mehrmals gezeigt, dass genau diese Schwächen beim Design der Reformprogramme unbeachtet geblieben sind. Genau zum gleichen Schluss kommt nun das IOBE.
Das Institut schlägt vor, dass das zukünftige Wachstumsmodell Griechenlands auf drei Säulen ruht:
- Der Konsum soll gedrosselt werden,
- die Privatinvestitionen sollen gefördert werden und
- Hellas soll verstärkt auf Exporte setzen.
Nach dem riesigen krisenbedingten Einbruch des Privatkonsums wird ein weiteres Engerschnallen des Gürtels kaum zu machen sein. Die anderen beiden Bereiche sind hingegen entschieden richtig. Finanziert werden kann das Modell aber nicht mehr lediglich durch Bankkredite. Eine grosse Rolle müssen ausländische Direktinvestitionen, Börseneinführungen und die Diversifikation von bestehenden kleinen und mittleren Unternehmen in höherwertige Produkte spielen. In Bezug auf die Branchen, die in Griechenland Zukunft haben, gibt es nicht nur beim schon heute gut laufenden Tourismus Potenzial.
Wachstumschancen in Filmindustrie und Logistik
Die Griechinnen und Griechen sind ein fernsehverrücktes Volk. Aber anstatt dass die Medienpolitik einer klaren Strategie folgt und einheimisches Schaffen fördert, setzen die vielen Privatsender vor allem auf billig eingekaufte, notdürftig untertitelte türkische Serien. Dabei hätte das Land doch der Filmindustrie soviel zu bieten: Inseln, Kulturdenkmäler, Naturlandschaften – das ist es doch, was die Drehbuchautoren als Kulissen brauchen. Nur müsste man es ihnen schmackhaft machen.
Rund um den Logistikbereich können viele gute Unternehmen wachsen und gedeihen – wenn der Staat sie lässt. Schon jetzt ist die chinesische COSCO daran, den Hafen von Piräus auf Vordermann zu trimmen und in Konkurrenz zu Antwerpen und Hamburg zu einem Eingangstor für chinesische Produkte zu machen. Die Produkte werden dann ab Piräus mit der Eisenbahn in Europa verteilt, was einen bedeutenden Gewinn an Zeit und Geld darstellt. Diese Branche bildet sich rings um die Schifffahrt, die ein traditionelles Standbein der griechischen Wirtschaft ist und etwas, worin die Griechen richtig gut sind.
Spät, aber immerhin: Griechenland macht sich jetzt Gedanken darüber, woher das künftige Wachstum kommen soll.