Berggruen vereinigt in sich eigentlich nicht nur eine, sondern gleich drei Persönlichkeiten. Er ist erstens erfolgreicher Unternehmer, der mit Finanzfirmen und Sanierungen bestehender Unternehmen sehr viel Geld verdient hat. Die grösste dieser Turnaround-Operationen, jene des Kaufhauskonzerns Karstadt ist noch im vollen Gange.
In den Fusstapfen des Vaters
Bergruen ist zweitens, nach dem Vorbild etwa eines George Soros, besorgter Weltbürger, welcher die Welt nicht nur mit Worten, sondern auch mit viel intellektuellem, finanziellem und persönlichen Einsatz verbessern will. Davon soll hier primär die Rede sein.
Bergruen ist schliesslich auch Kustsammler und Mäzen, in den Fussstapfen seines Vaters, des deutsch-französischen Kunsthändlers und -sammlers Heinz Berggruen, dessen nach ihm benannntes, aber staatliches Museum in Berlin eine einzigartige Sammlung der klassischen Moderne dem Publikum zugänglich macht. Der Sohn hat zur eben erfolgten grosszügigen Erweiterung des väterlichen Museums kräftig beigetragen, und bereitet selbst ein ähnliches Projekt in Los Angeles vor, wo seine eigene Sammlung, folgerichtig der “modernen Moderne”, einst ihren Platz erhalten soll.
In den USA und in der Schweiz aufgewachsen
Einer der zahlreichen, ehemaligen und amtierenden, internationalen Spitzenpolitiker , welcher in einem der hochkarätigen Beratungsgremien des “Bergruen Institute on Governance” mit Sitz in Los Angeles tätig ist, hat Nicolas einen “stateless statesman”, einen Staatsmann ohne Pass, genannt. Das passt sowohl zur Lebensgeschichte, Berggruen ist in den USA und der Schweiz aufgewachsen und lebt dort wohin ihn Beruf und Berufung führen, als auch zur politischen Mission eines ebenso sportlich jung wie gelassen auftretenden Mannes mit einer Mission. Keiner geringen: Berggruen will nichts weniger als den “holy grail of government” finden. Die beste Regierungsform für alle Bürger eines States also.
Der Titel des von Berggruen mit Nathan Gardels verfassten Buchoriginals lautet denn auch “Intelligent Governance for the 21st Century. A Middle Way between West and East”. Die Anfang dieses Jahres im Herder Verlag, Freiburg i.B. erschienene, deutsche Ausgabe”Klug regieren. Politik für das 21. Jahrhundert”, ist mehr als eine reine Übersetzung. Bergruen, der fliessend Deutsch spricht hat sie persönlich durchgearbeitet, um auch Europa, und der Schweiz(davon später) gerecht zu werden.
Für einen Mittelweg zwischen Kalifornien und Konfuzius
Ausgangspunkt des Buches ist der Bundesstaat Kalifornien, welcher 1915 verschiedene Elemente der direkten Demokratie einführte, welche zunächst gut, seit einiger Zeit aber gar nicht mehr funktionieren. Die Autoren orten wegen einer Flutwelle von Initiativen und Referenden ein Übermass sowohl an Populismus von Seiten der Politiker als auch an Besitzstandsdenken kleiner aber gut finanzierter und damit einflussreicher Bevölkerungsgruppen.
Von Kalifornien wird eine gerade Linie zu den USA und zu den westlichen Demokratien allgemein gezogen, welche ihren Krisen und Defiziten kaum mehr Herr würden. Dem wird ein östliches, insbesondere chinesisch-konfuzianisch geprägtes System gegenübergestellt. Dieses wähle zwar traditionell seine Anführer durch Eignungsprüfung und nicht durch Volkswille aus und habe damit seit der Absage an kommunistische Dogmen rasche wirtschaftliche Entwicklung gebracht, drohe indes ebenfalls an inneren Widersprüchen zu scheitern.
Berggruen /Gardels schwebt ein Mittelweg vor, wo der Grundsatz der Verantwortung von Politikern gegenüber ihren Wählern bestehen bleibt, Exekutive und Parlament beim Regieren aber durch, auf Grund von Wissen, Leistung und Erfahrung ausgewählten Personen unterstützt werden. Theoretisch ausgedrückt würde also die auf der vox populi basierende Demokratie durch ein meritokratisches Element angereichert. Indes soll nicht Theorie, sondern die praktische Anwendung dominieren, was Berggruen durch die Initiative zur (und dann tätige Beihilfe an) der Europäischen Jugendarbeits- Initiative der EU unter Beweis gestellt hat.
François Hollande, kein Freund von millionenverdienenden Finanzjongleuren, hat ihm dafür vor versammelter Weltpresse hohes Lob gezollt.
Ein “Rat für die Zukunft Europas”
Im Buch werden sowohl auf globaler Ebene - via die G-20, die geographisch ausbalancierte Gruppe der grössten Volkswirtschaften der Welt - als auch für Europa, via die EU, detaillierte Modelle vorgestellt, wie effektiver, aber doch dem Willen aller Bürger entsprechend regiert werden könnte.
Man mag im Einzelnen mit Berggruen nicht immer einig sein, gar Grundlagen in Frage stellen, so etwa bei seiner Darstellung der real existiernden Volksrepublik China oder der Frage verfassungsrechtlicher Abstützung einer Meritokratie. Sein Bemühen, über unmittelbare Krisenbekämpfung hinwegreichende, praktisch anwendbare Rezepte für die Zukunft aufzuzeigen ist aber eben so ehrlich wie faszinierend. In seinem entsprechend “Council on the Future of Europe” benannten Beratungsgremium sitzen neben Schröder, Prodi, Blair und Delors unter anderen auch Doris Leuthard und Jakob Kellenberger was ebenso als persönliches, wie als Kompliment an Form und Praxis schweizerischer Regierungstätigkeit zu verstehen ist.
Schweizer Impulse für Europa?
Berggruen unterstrich das anlässlich der eingangs erwähnten Veranstaltung in Bern, indem er diese zusammen mit David Bosshart vom Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) bestritt, welcher seinerseits ein positives Bild hiesiger staatspolitischer Vernunft zeichnete. Konsequenterweise ermunterte Berggruen die Schweiz, ihre Erfahrung mit Konkordanz, Subsidiarität und massvoller Ausgestaltung der direkten Demokratie, aktiver in Europa einzubringen - zu denken ist etwa an die ja eben bestätigte Art der Auswahl der Exekutive.
Neben dem GDI, der ältesten Denkfabrik der Schweiz nahm “foraus”, die jüngste solche Vereinigung , eine zentrale Rolle ein bei Vortrag und Buchpräsentation. Das “Forum für Aussenpolitk” , jung, unkonventionell und rasch wachsend, hatte sich in Bern zusammengetan mit der ehrwürdigen, aber etwas finanz- und mitgliederschwachen Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitk. Mit weiteren solchen Veranstaltungen, im Tandem mit dem EDA, beabsichtigt foraus unter Beweis zu stellen, dass die Schweiz neben der Verteidigung von Bestehendem auch am Aufbau von Neuem mittun will und kann.