Die EU hatte Italien ein Ultimatum gestellt. Bis spätestens 0.00 Uhr in der Nacht von gestern auf heute hätte Rom einen korrigierten Haushaltsentwurf vorlegen sollen. Den vor drei Wochen eingereichten italienischen Haushaltsplan bezeichnete Brüssel als schweren Verstoss gegen die EU-Stabilitätsrichtlinien und verlangte eine Überarbeitung.
Fristgerecht hat Rom reagiert, und zwar wie erwartet. Trotzig und schnöde lehnt die populistische Regierung die Forderungen der EU ab. Das kann böse enden: für Italien, für die EU, für beide zusammen. Und vor allem für die europäische Wirtschaft.
„Das, was das Land braucht“
„Ich akzeptiere keine Forderungen der EU“, sagte Matteo Salvini, Vize-Ministerpräsident und starker Mann in der populistischen Regierung. „Brüssel kann uns noch bis Weihnachten Briefe schreiben, wir bleiben hart.“
Der zweite Vize-Ministerpräsident, Luigi di Maio, sagte am Dienstag: „Wir sind überzeugt, dass dieser Budgetplan das ist, was das Land braucht, um wieder auf die Beine zu kommen.“ Mit der im Haushaltplan vorgesehenen starken Neuverschuldung will die populistische Koalitionsregierung zum Teil ihre teuren Wahlversprechen finanzieren.
„Irreal, dumm und falsch“
Die Wirtschaft reagierte schnell auf die Klatsche aus Rom: Der Spread machte am Mittwoch einen Sprung auf über 330 Punkte, pendelte sich dann im Laufe des Tages bei über 300 Punkten ein. Die Finanzmärkte, der Internationale Währungsfonds (IWF) und italienische Wirtschaftskreise bezeichnen die Wirtschaftspläne der Regierung als „irreal, dumm und falsch“.
Scharf ins Gericht mit Italien geht Antonio Tajani (immerhin ein Italiener). Er ist Präsident des Europaparlaments. Er spricht von der „arroganten“ italienischen Regierung. Ihre Wirtschaftspolitik sei „unhaltbar“ und könnte Italien bald „enorme Schäden“ bringen.
Feindbild EU
Jetzt droht Italien ein Defizitverfahren. Konkret: Die EU könnte Italien mehr Haushaltdisziplin „befehlen“. Geht Rom nicht darauf ein, könnte Brüssel theoretisch dem Belpaese den Finanzhahn zudrehen. Italien ist nicht unerheblich von EU-Geldern abhängig. Ohne die vielen, vielen EU-Milliarden wäre das Land schon längst am Boden.
Bei dem Streit geht es nicht nur um wirtschaftspolitische Vorstellungen. Es geht vor allem um Politik. Der Populismus lebt davon, einen Sündenbock, ein Feindbild zu haben. Und die EU ist es, die von der populistischen Regierung zum Feindbild Nummer eins erkoren wurde.
Hausgemachte Krise
Die Koalitionsregierung, die aus Salvinis „Lega“ und Di Maios „Cinque Stelle“ besteht, wird nicht müde zu behaupten, dass Brüssel an allem schuld sei. Die EU mit ihrer restriktiven Finanzpolitik sei verantwortlich dafür, dass das hochverschuldete Italien nicht vom Fleck komme.
Doch verantwortlich für das italienische Verhängnis sind die Italiener selbst. Das Land ist krank, die Krise ist hausgemacht. Da gibt es – unter anderem – die lächerliche, ineffiziente Bürokratie, die ebenso lächerliche Überregulierung des Arbeitsmarktes, die mafiösen und kriminellen Strukturen und den aufgeblähten Politapparat.
Salvinis Rezept funktioniert
Natürlich ist es Balsam für die italienische Volksseele, wenn die Regierung behauptet, nicht die Italiener seien an dem ganzen Schlamassel schuld: schuld sei die EU. Und vor allem Deutschland.
Die Mehrheit der Italienerinnen und Italiener glaubt den populistischen Sprüchen der Regierung. Je vehementer Salvini gegen die EU schiesst, desto populärer wird er. Sein Rezept funktioniert.
Bei den Wahlen am 4. März erreichte Salvinis Lega 17 Prozent der Stimmen. Laut einer letzten Umfrage des Fernsehsender TG7 legt die Lega weiter zu. Jetzt (am 12.11.2018) würden 31,7 Prozent der Italienerinnen und Italiener für die Lega stimmen. Damit hat Salvini auch seinen Koalitionspartner Di Maio von den Cinque Stelle klar abgehängt. Die Fünf Sterne verlieren leicht und kämen heute auf 27,4 Prozent.
Di Mateo, der „Pudel des Meisters“
Das erstaunt nicht: Salvini dominiert mit lauten, teils rassistischen Ausfällen die Politszene; Di Maio tut sich schwer, ihm das Wasser zu reichen und gilt in Rom längst als „Pudel des Meisters“. Ein anderer Pudel ist der profillose Ministerpräsident Giuseppe Conte, der keine eigene Meinung zu haben scheint und dies auch täglich demonstriert.
Da Salvini mit seiner aggressiven Anti-Eu-Politik weiter an Boden gewinnt, sieht er keinen Anlass dazu, seine Haltung zu ändern. Er weiss genau: Wenn Brüssel Sanktionen gegen Italien verhängt, schweisst das seine Anhänger nur noch mehr zusammen. Also: Auf in den Kampf gegen Brüssel! Bereits heute stehen laut einer letzten Umfrage nur noch 44 Prozent der Italienerinnen und Italiener hinter der EU.
Kein Nachgeben
Es scheint, dass Salvini einen handfesten Krieg mit der EU geradezu sucht. Steigt dann seine Popularität weiter, könnte er seine eigene Regierung zu Fall bringen. Neuwahlen würden ihm dann wahrscheinlich eine Mehrheit bringen. Dann hätte er seinen Partner Di Maio und die stets quengelnden Fünf-Sterne-Vertreter endlich los und könnte ohne Klotz am Bein regieren. Natürlich sind das Spekulationen, doch ganz aus der Luft gegriffen sind sie nicht.
In Rom nimmt man an, dass Salvini seine harte Haltung bis mindestens zum kommenden Mai beibehalten wird. Dann finden Europa-Wahlen statt. Legen dann die Lega und die anderen europäischen populistischen Parteien stark zu, werden sie den Druck auf die EU erhöhen.
Die Lage ist verzwickt: Salvini kann nicht nachgeben, weil er sonst seinen Wählern gegenüber das Gesicht verliert. Ebenso wenig kann die EU nachgeben, weil dies in Europa einen Dominoeffekt auslösen könnte. Andere Staaten könnten sich sagen: Wieso darf Italien gegen die EU-Stabilitätsregeln verstossen und wir nicht? Dann stünde die Stabilität des Euroraums auf dem Spiel.