Sie sind eingeladen zu einer Diskussion. Sie sitzen mit vier weiteren Gesprächsteilnehmern auf dem Podium und werden von einer Moderatorin befragt. Natürlich vertreten alle eine andere Meinung. Deshalb wurden sie ja eingeladen. Im Saal sitzen 200 Leute.
Zuerst erhält der Herr, der links von ihnen sitzt, das Wort. Was er von sich gibt, ist – ihrer Meinung nach – purer Schwachsinn, dummes Geschnatter.
Jetzt erhalten Sie das Wort. Wie verhalten Sie sich? Sagen Sie Ihrem Vorredner, er sei ein nicht optimal begabter Quatschkopf? Oder sagen Sie ihm höflich: Ich bin ganz und gar nicht Ihrer Meinung?
Würden Sie sich so verhalten, würde sich der Vorredner angegriffen fühlen, angestachelt. Ein wildes Hin und Her entstünde, man fiele sich ins Wort, man würde wütend, die Diskussion würde entgleisen, Ihnen würde die Zeit abhandenkommen, um auszudrücken, was Sie ausdrücken wollen.
Da gibt es die „Nicht-Provokationsmethode“. Immer mehr Leute verwenden sie. Sie greifen den Vorredner, diesen Plapperhans, nicht an, Sie lassen ihn ins Leere laufen.
Sie beginnen, mit einem feinen Lächeln im Gesicht, mit den magischen Worten: „Ich möchte da etwas ergänzen.“ Der Vorredner lehnt sich glücklich zurück; er ist froh, dass seine Ansichten nicht bestritten, sondern nur „ergänzt“ werden.
Und Sie haben freie Bühne und Zeit, genau das Gegenteil von dem zu sagen, was Ihr Vorredner sagte. Ruhig tragen Sie ihre Kernbotschaft, ihre Key-Message, vor und zerlegen die Ansichten des Herrn links von Ihnen. Da er nicht angegriffen wurde, hört er gar nicht zu.
Kontradiktorische Diskussionen, These, Antithese, Synthese – das war einmal. Heute geht man auf die Argumente des Vorredners gar nicht mehr ein. Vor allem nicht in öffentlichen Diskussionen. Alle wollen einfach ihre Botschaft an den Mann und die Frau bringen. Die spulen sie stur ab, immer wieder. Was die andern sagen, ist egal – und die andern hören gar nicht zu. Sich mit der Sichtweise der andern befassen – tempi passati. So funktioniert öffentliche Politik.
Das Zauberverb heisst: Ergänzen. „Ich möchte da etwas ergänzen.“
PS: Natürlich gibt es Politiker, die bewusst provozieren, den andern ins Wort fallen, bewusst den Streit suchen, um ins Gespräch und in die Medien zu gelangen. Doch haben sich diese ewigen, reflexartigen und rüpelhaften Beschimpfungen – Provokation um der Provokation wegen – nicht etwas abgenutzt?