Malaysia ist grundsätzlich eine lebendige Demokratie. Die politische Bühne wird zwar traditionell durch die grosse staatstragende Partei UMNO (United Malays National Organisation) beherrscht. In den beiden letzten Wahlen ist ihr die vereinigte Opposition, geführt von der islamischen Partei PAS (Parti Islam SeMalaysia) indes gefährlich nahe gerückt.
Um beim nächsten Mal zu gewinnen, dämpft nun die PAS ihre islamistische Rethorik, was insbesondere ihr Rückhalt unter der bedeutenden Minderheit der chinesischstämmigen - und damit nicht-muslimischen - Malaysier verstärken soll.
Die Regierungspartei UMNO ihrerseits, traditionell ohne religiöse Färbung, wittert umgekehrt ihre Chance in einer brüsken ideologischen Kehrtwendung, indem die Einführung islamischen Strafrechts zur Diskussion gestellt wird. ‘Hudud’ mit seinen berüchtigten Körperstrafen wird vom dogmatischen Staatsislam in Saudi-Arabien angewandt, nicht aber vom traditionell biegsameren Individualislam im malayischen Inselarchipel (Indonesien, Malaysia, südliche Philippinen, Brunei).
Spiel mit dem Feuer
Dieser sanftere Islam kennt traditionellerweise auch den, im mittelöstlichen Islam so verhängnisvollen Gegensatz zwischen Sunna und Schia kaum. Umso beunruhigter haben erfahrene Malaysia- Experten auf eine kürzliche Tirade eines hohen UMNO-Verantwortlichen reagiert, welcher die PAS angeblichen Schiismus vorwarf und vorschlug, den sunnitischen Islam in der Staatsverfassung festzuschreiben.
Ein typisches Beispiel also von zynischem Gebrauch der Religion, um politisch punkten zu können, bei einer Wählerschaft welche heute augenblicklich mobilisiert und emotionalisiert werden kann. Dies ist ein Spiel mit dem Feuer. Einmal radikalisiert, zerfällt die in diesen Staaten dank wirtschaftlichem Aufschwung im Aufbau begriffene Zivilgesellschaft wieder in ihre Einzelteile. Zudem werden nationale Nährböden des Islams jeweils mit reichlich viel islamistischem Geld aus den Golfstaaten gedüngt.
Brunei: "L'état c'est moi"
Malayischer Vorreiter der politischen Instrumentalisierung des Islam ist ausgerechnet Brunei. Dieser winzige Ölstaat am oberen Ende der Insel Borneo, welche postkolonial zwischen Indonesien (Kalimantan) und Malaysia (Sarawak und Sabah) aufgeteilt worden war, ist historisch eher zufällig ein unabhängiger Staat.
Brunei war eines der Sultanate Malaysias. Doch der in Brunei seit Jahrhunderten regierende Familienclan der Bolkiah wollte 1963, als Malaysia unabhängig wurde, sein reichlich sprudelndes Öl nicht mit den Cousins in den andern neun Sultanaten des neuen Staates Malaysia teilen. So zog es Brunei vor, unter britischem Schirm zu bleiben.
Mit der 1983 nolens volens erfolgten Unabhängigkeit Bruneis änderte sich, im Gegensatz zu allen anderen jungen Staaten in der Nachbarschaft, kaum etwas. Die Person des Sultans repräsentiert den Staat schlechthin. L’état c’est moi: Er ist nicht nur politisches und geistiges Oberhaupt, er bekleidet auch die drei wichtigsten Ministerposten (Premierminister, Verteidigung und Finanzen), ist Oberkommandierender der Streitkräfte und der Polizei, Rektor der staatlichen Universität , auch Feuerwehrhauptmann und Chef aller Pfadi in Brunei. Staatskarrossen sind die wohl global eindrücklichste Flotte von Rolls Royce; bei grossen Gelegenheiten wird ein goldverkrustetes offenes Modell aus der Garage geholt. So etwa anlässlich der Hochzeit seines ersten Sohns und Kronprinzen mit der Brunei-Schweizerin Sarah.
Scharia
Aber auch an diesem unwirklichen Operettenstaat geht der Zeitgeist nicht spurlos vorüber. Um sich auf seiner religiösen Flanke abzusichern, gebärdet sich der Sultan Hassanal Bolkiah seit geraumer Zeit zunehmend islamistischer.
Alkohol ist, ausser in den Camps der Ölleute, schon lange verboten. Die Disco im wichtigsten Nobelhotel der Hauptstadt Bandar Seri Bagawan steht leer und bleibt dunkel, da öffentliche Begegnung der beiden Geschlechter mit moderner Musik ‘haram’ sind. Ja selbst ein harmloses Jazzkonzert mit schweizerischen Verwandten der Prinzessin, in der Folge der Hochzeit sorgfältig in die Wege geleitet, wurde durch religiöse Gralshüter um den Sultan in Keime erstickt. Nun ist aber Hassanal einen folgenschweren Schritt weitergegangen, indem er 2013 die Scharia zum alleinigen Recht für alle Bruneier (nicht die Ausländer) erklärt hat.
Dies stellt ein in Südostasien bislang präzedenzloser Verstoss gegen die jahrhundertalte Toleranzregel der Region dar, nach welcher verschiedene Ethnien und Religionen, wo nicht miteinander so doch friedlich nebeneinander im gleichen staatlichen Verbund leben. Umso beunruhigender, dass religiöse Eiferer, und ihre politischen Hintermänner, in Malaysia nun auf das Beispiel der ‘islamischen Brüder’ in Brunei verweisen können. Brunei ist zu klein und unwichtig, um bereits von einer drohenden Islamisierung Südostasiens sprechen zu können. Sollte sich dieser Trend indes fortsetzten, in Malaysia und gar Indonesien, wo 2014 eine hartumkämpfte Präsidentschaftswahl ansteht, könnten unabsehbare Entwicklungen eintreten, welche für diese Schwellenländer nichts Gutes verheissen.
Myanmar: "Buddhistischer Bin Laden"
Andere Religion, andere Tradition, aber ähnliches Muster im seit wenigen Jahren ja rapide demokratischer werdenden Myanmar. Mit der Einführung grundlegender Menschenrechte, wie zum Beispiel der Meinungsäusserungsfreiheit, entsteht auch die Gefahr von deren Missbrauch. Dies zumal im burmesischen Gemeinwesen, wo weder von Erziehung und Ausbildung der Einzelnen noch aus der politischen Erfahrung her die für traditionell offene politische Systeme selbstverständliche Regel gilt, dass die Freiheit des einen dort ein Ende hat, wo sie in die Freiheit des anderen verletzt.
Diese demokratische Durchgangsphase macht sich in Myanmar buddhistischer Extremismus schamlos zunutze. Der sogenannte Mönch Ashin Wirathu an der Spitze des ‘Bewegung 969’ ist ein buddhistischer Eiferer, welchen ‘TIME’ im Juli 2013, durchaus zu Recht, den ‘buddhistischen Bin Laden’ genannt hat. Seine Bewegung und ihre offen rassistischen Verlautbarungen, in einem etablierten Rechtsstaat wohl wegen Aufhetzung längst verboten, steht an der Wurzel der periodischen Gräuel, welche ein burmesischer Mob islamischen Mitbürgern, meist Angehörigen der ursprünglich aus der Gegend des heutigen Bangladesh stammenden Rohingya, antut.
Religion - populistisch missbraucht
In diesem Fall hat der Staat zwar nicht die Vorreiterrolle übernommen, macht aber nichts, um diesem krassen Missbrauch der eben erst gewährten Rechte einen Riegel vorzuschieben. Wirathu ist nämlich in einem grossen Teil der weit überwiegend buddhistischen Bevölkerung Burmas sehr populär.
Auch hier wird Religion populistisch missbraucht. Dies von allen Politikern; sogar Freiheitsikone Aung Sang Suu Kye ist zu diesem wunden Punkt in der jungen Demokratie Myanmars bislang eigenartig einsilbig geblieben. Beobachter in Südostasien ziehen beunruhigende Paralleln mit dem Sri Lanka der Vergangenheit, als singhalesische Hetze gegen Tamilen ungestraft blieb, was in direkter Linie zum Bürgerkrieg führte.
Muslimisches Epizentrum
Spätestens hier wird klar, warum uns solche Entwicklungen auch in Europa etwas angehen. Myanmar ist nicht nur Traumdestination für eine Flussfahrt auf dem Irrawaddy. Brunei liefert nicht nur Stoff für Illustriertengeschichten über eine Märchenhochzeit mit Prinzessin aus Fribourg.
Am Anfang unseres Bewusstseinprozesses steht nicht mehr, aber bessere Information, welche auch zur Kenntnis genommen wird. Zum Beispiel die Tatsache, in Europa hinter dem konstanten Feuerschein von Mittelostkrisen kaum wahrgenommen, dass global weitaus die meisten Muslime nicht in arabischen Ländern, nicht in Afrika und auch nicht in Iran und der Türkei, sondern in Asien leben. Dort liegt heute auch das Epizentrum globaler Religionsbegegnung.