Mit nackter, geschwellter Brust steigt er aus dem Meer. Neun Kameras sind auf ihn gerichtet. Am Strand in Marina di Milano jubeln seine Anhänger. Einige wollen ihn berühren.
Er streichelt Babys und fährt alten Frauen übers Haar. Mit schönen Ragazze lässt er sich fotografieren. Täglich verschickt er Dutzende Tweets und Videobotschaften. Was Trump kann, kann auch er.
Es ist der Sommer des Matteo Salvini. Täglich erscheint er am Fernsehen, mehrmals – oft zusammen mit seiner attraktiven Freundin, der TV-Moderatorin Elisa Isoardi. Die Zeitungen, auch die regierungskritischen, überschlagen sich mit Salvini-Berichten. Die Klatschmagazine geifern vor Freude. In Meinungsumfragen fliegt Salvini davon – er, der Mann mit rechtsextremen Neigungen, einer rüpelhaften Sprache und engen Beziehungen zu Europas Rechtspopulisten.
Verbitterte Langweiler
Im Gegensatz zu Salvini sind die anderen europäischen Rechtspopulisten müde Geschöpfe. Der verhärmten AfD-Frau Alice Weidel fehlt jede Ausstrahlung. Ihr Mitstreiter, der Mann mit der Hundekrawatte, wirkt wie ein öliger, blutleerer Quälgeist aus einer andern Welt. Marine Le Pen ist längst ausgelaugt und abgestraft, ebenso der hochgeföhnte Holländer Geert Wilders. Und an Tranigkeit nicht zu übertreffen ist der bis auf die Knochen uncharismatische Österreicher Heinz-Christian Strache.
Nein, all diese verbitterten Langweiler können Salvini das Wasser nicht reichen. Der 45-jährige italienische Lega-Chef und Innenminister ist anders. Er strotzt vor Kraft, hat Charisma, weiss, was die Leute hören wollen, weiss mit den Medien zu spielen, provoziert, ist schlagfertig – und immer im Gespräch. Keiner beherrscht die populistische Klaviatur wie er.
Und deshalb ist er gefährlich.
Beziehungen weit nach rechts
Salvinis Beziehungen zu rechtsextremen Kreisen sind verbrieft. Einer seiner Freunde und Mitstreiter ist Mario Borghezio, ein notorischer, gewalttätiger rechtsextremer Rassist, der auch schon Zelte von Einwanderern angezündet hat. Borghezio, Mitglied des Europaparlaments, bezeichnet manche Ideen des norwegischen Attentäters Anders Behring Breivik als „gut und manchmal ausgezeichnet“. In der Schweiz wurde Borghezio bekannt, als er 2014 aus dem Europaparlament ausgeschlossen wurde, nachdem er eine Schweizerfahne geschwenkt und rüde Anti-EU-Slogans geschrien hatte.
Salvini steht auch der neofaschistischen Römer Bewegung „Casa Pound“ nahe. Ihre Führer bezeichneten sich auch schon unverblümt als „Faschisten des dritten Jahrtausends“. Es gibt Fotos, die zeigen Salvini beim Abendessen mit den Spitzenvertretern der CasaPound-Bewegung. Während des Fussballspiels Juventus–Milan trug Salvini im vergangenen Mai im Römer Olympia-Stadion eine Jacke mit dem Logo einer CasaPound-affilen Firma.
„Gemeinsam einen gewaltigen Sprung nach vorn“
Steve Bannon hat er kürzlich in Mailand getroffen. Vor drei Jahren hat Salvini Vertreter der griechischen Neonazi-Partei „Goldene Morgenröte“ eingeladen. Und er denkt, zusammen mit seinen Mitstreitern, den Cinque Stelle, offen darüber nach, ob die parlamentarische Demokratie nun wirklich das Richtige sei. Schon schreibt die Soziologin Chiara Saraceno in der Zeitung „Repubblica“: „Es war einmal das Parlament.“ Salvini scheut auch vor Mussolini-Zitaten nicht zurück und freut sich über den Entrüstungssturm, den er damit auslöst.
Doch der Lega-Chef sieht sich nicht nur als italienischen Regenten. Er will alle europäischen rechtspopulistischen Parteien einigen. Dabei wären auch die Nord- und Osteuropäer, Victor Orbán und die UKIP. Ziel ist es, bei den Europawahlen Ende Mai 2019 „gemeinsam einen gewaltigen Sprung nach vorn zu machen“. Ginge die Rechnung auf, würde dies den europäischen Populisten einen riesigen Propagandaerfolg und weiteren Auftrieb bringen.
Koordiniert wird die von Salvini initiierte Bewegung in Rom, und zwar von der „Föderalistischen Stiftung für ein Europa der Völker“. Und wer leitet diese Bewegung? Der rechte Rechtspopulist Mario Borghezio.
Verliebt in Salvini
Es ist ein heisser Sommertag. In einem Restaurant in einem Römer Aussenquartier sitzt ein gutes Dutzend Arbeiter um den Mittagstisch. Nur wenige wollen mit uns über Politik sprechen. Jene, die es tun, sagen, sie hätten früher für den Sozialdemokraten Renzi gestimmt. Jetzt wählen sie Salvini. Die andern nicken.
Einer, ein Arbeiter aus dem kalabresischen Catanzaro, erzählt, seine Frau sei ganz verliebt in Salvini. Jeden Abend sitze sie vor dem Fernsehen und warte auf seine Auftritte.
Lange muss sie jeweils nicht warten, denn Salvini ist hier, dort und überall: in der Tagesschau, an Sportveranstaltungen, am Meeresstrand, in den Bergen, an Kongressen, bei Einweihungen, am Palio in Siena – und in Kochsendungen. Und wer moderiert neuerdings die Kochsendung „La prova del Cuoco“ mit ihrem Millionenpublikum? Salvinis Freundin Elisa Isoardi.
Vorgeschobenes Flüchtlingsthema
Der starke Mann Italiens peitscht die Leute auf. Zwar gehen die Flüchtlingszahlen stark zurück. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres nahm die Zahl der Migranten in Italien im Vergleich zum Vorjahr um fast 80 Prozent ab. Bereits 2017 war ein starker Rückgang zu verzeichnen. Doch laut Meinungsumfragen wissen das die wenigsten Italiener, denn der Innenminister behauptet tagein, tagaus, Italien stehe vor einer afrikanischen Invasion. „Wir verlieren unsere Identität, wir werden afrikanisiert“, paukt er seinem Volk ein. Und laut Meinungsumfragen glaubt es die Mehrheit der Italiener.
Viele Italiener merken nicht, dass das Flüchtlingsthema nur vorgeschoben ist und dass sie von den Populisten missbraucht werden. Salvini und Co. zünden Feuer an – und empfehlen sich dann als Feuerwehrleute. Sie hetzen die Bevölkerung auf, schüren Angst – und geben sich dann als Retter und Beschützer der Nation. Das entbindet sie auch davon, die wirklichen Probleme Italiens anzugehen. Das ist ihnen bisher nicht gelungen.
Salvini-Trolle
Täglich heizen Salvini und seine Anhänger die Fremdenfeindlichkeit an. Haarsträubende Fake-News werden gestreut.
- So hiess es auf einer Internet-Plattform, dass in Pescara 230 Italiener ihre Häuser hätten räumen müssen, um Flüchtlingen Platz zu machen. In Wahrheit wurden die Italiener wegen latenter Erdbebengefahr evakuiert.
- Weiter erklärte ein Matrose im Internet, auf dem Flüchtlingsschiff „Aquarius“ würden die Migranten fröhlich mit Videogames und Glücksspielen ihre Zeit vertreiben. Die Geschichte wurde zwei Millionen Mal angeklickt. Den Matrosen gibt es nicht, dafür einen Matrosen-Troll.
- Ein Foto zeigt eine riesige Menge Leute, angeblich in einem Hafen in Libyen. „Sie wollen jetzt alle nach Italien“, heisst es. Das Foto zeigt die Besucher eines Pink Floyd-Konzerts am 15. Juli 1989 in Venedig.
Auf Facebook forderte ein „Kalif“ junge Frauen auf, Schleier und lange Röcke zu tragen, sonst „werden wir euch den Bauch aufschlitzen“. Ein anderer Post besagt: „Männer, eure Frauen werden von Arabern vergewaltigt, und sie getrauen es euch nicht zu sagen, denn sie werden mit dem Tod bedroht.“
Bespuckt, angepöbelt, geschlagen
Die Zahl der Übergriffe auf Dunkelhäutige nimmt dramatisch zu. Viele werden nach Polizeiangaben auf offener Strasse bespuckt, angepöbelt und geschlagen. Auf der Römer Piazza del Popolo geht ein invalider Schwarzer über die Strasse. Ein Auto hält an, ein junger Mann steigt aus und schlägt den Invaliden nieder, weil er „zu langsam über die Strasse ging“. Plötzlich sind vier weitere Junge da und dreschen auf den am Boden Liegenden ein. Die dunkelhäutige italienische Diskuswerferin Daisy Osakue wurde in Turin aus einem Auto mit Eiern beworfen und an einem Auge schwer verletzt. Allein in Rom wurde im Monat Juli zwölf Mal auf Migranten geschossen.
Natürlich gibt es immer Leute, die sagen, das seien Einzelfälle, man solle nicht in Panik verfallen. Sicher, doch seit Salvini an der Macht ist, vermehren sich die Einzelfälle dramatisch.
„Ihr geht uns auf die Eier“
Im Zug von Mailand nach Cremona ertönte vergangene Woche plötzlich eine weibliche Stimme aus dem Lautsprecher. „Zigeuner und Belästiger (molestatori), steigt an der nächsten Station aus. Ihr geht uns auf die Eier“ ( avete rotto i coglioni). Die Stimme stammte wahrscheinlich von der Zugführerin.
Im Zug befand sich Raffaele Ariano, ein 32-jähriger Forscher an der philosophischen Fakultät der Römer Universität San Raffaele. Er protestierte bei der Eisenbahngesellschaft. Jemand leitete seine Facebook-Adresse an die Salvini-freundliche Homepage „Noi con Salvini“ (Wir mit Salvini) weiter. Dort wurde Arianos Facebook-Profil veröffentlicht. Anschliessend erhielt er über 42’000 wüsteste Posts: Beschimpfungen und Drohungen mit klar rechtsextremem und neofaschistischem Einschlag. Dem Fernsehsender des „Corriere della Sera“ zeigte er die eingegangenen Schmähungen.
Salvini sagt: Der angeblich aufkommende Rassismus sei „eine Erfindung der Linken“. Und der Kirche.
Während des Wahlkampfs hatte Salvini noch mit dem Rosenkranz gefuchtelt, Gott angefleht und so treue Katholiken eingesammelt. Jetzt ist es mit der Liebe zum Kreuz zu Ende. Die katholische Kirche wirft Salvini eine Hetzkampagne vor. Die Wochenzeitung „Famiglia Cristiana“, die vor allem auf dem Land grossen Einfluss hat, rief dem Lega-Chef zu: „Salvini, vade retro“ – kehr um. Und die Bischofszeitung „Avvenire“ stiess ins gleiche Horn. Kein Mensch sei „ein Parasit“. Als solche bezeichnet Salvini die gestrandeten Boat-People. Der Innenminister reagierte prompt: Die Kirche übe sich in „schlechtem Geschmack“.
Natürlich wettern auch Intellektuelle, Künstler und die Linke lautstark gegen den Innenminister. Manchmal mit zweifelhaftem Geschmack. So zeigt das Titelbild des einflussreichen linksliberalen Nachrichtenmagazins „L’Espresso“ italienische Populisten in den Ferien am Strand – verkleidet mit Kapuzen des Ku-Klux-Klans. Titel: „Augustferien, Jagd auf Immigranten, versteckter Rassismus. Salvini dappertutto. ... Die Ferien der Italiener im souvränistischen Sommer.“
„Aber, wo ist denn das Problem?“
Faschisten und Neonazis gab es in Italien schon immer. Doch seit Salvini am Ruder ist, kriechen sie mehr und mehr aus dem Verborgenen.
Am vergangenen Wochenende hängte ein Barbesitzer im sizilianischen Städtchen Modica ein grosses Poster von Mussolini in seinem Lokal an die Wand. Eine junge Frau empörte sich und rief die Polizei. Diese entfernte das Bild und klagte den Barbesitzer wegen „Unterstützung des Faschismus“ an. Die Frau fragte andere Barbesucher, was sie denn von dem Foto hielten. „Mit grosser Leichtigkeit antwortete man mir: ‚Aber, wo ist denn das Problem?’“.
Die vertagte Revolution
Wie lange Salvini durchhält, weiss niemand. Bisher hat die Regierung keines der angekündigten Wahlkampfversprechen eingelöst. Die 500’000 illegalen Flüchtlinge, die Salvini aus dem Land werfen wollte, sind noch immer da. Die versprochene Revolution ist vertagt. Die milliardenschwere Einführung eines Grundeinkommens und der Flattax wird auf die lange Bank geschoben. Unter der Vorgängerregierung ging es der Wirtschaft leicht besser, jetzt sind die Prognosen wieder ungünstig. Wirtschaftsfachleute fürchten, dass die neue Regierungspolitik zu Unsicherheit und zur Abwanderung ausländischer Unternehmen und zum Verlust Zehntausender Arbeitsplätze führt.
Natürlich steht Italien wohl nicht am faschistischen Abgrund, natürlich gibt es besonnene Kreise. 60 Prozent der Italiener haben gegen die populistischen Parteien gestimmt. Doch ein ernsthaftes Gegengewicht zu Salvini ist zurzeit nicht in Sicht. Die Linke befindet sich nach wie vor im traditionellen Selbstzerfleischungsmodus – und der bürgerlichen Berlusconi-Partei ist die Puste ausgegangen.