Nordkorea-Experten – und wer ist das nicht – analysieren, rätseln und hyperventilieren angesichts des angesagten Gipfeltreffens in Singapur. Wenn er denn stattfinden soll, wie auch der Schreibende wie alle andern Nordkorea-Experten sogleich hinzuzufügen sich bemüssigt fühlen. Um im Falle eines Falles ja nicht falsch zu liegen. Die Schlagzeilen reichen vom Gipfel der Hoffnung über den Gipfel der Überraschungen bis hin zum Gipfel der Angst.
Die Generäle
Vor einer Woche ersetzte Marschall Kim Jong-un drei Generäle. Sogleich wurde gerätselt: warum? Säuberung? Palastrevolution? Japanische und südkoreanische Experten waren, gestützt auf nicht präzisierte „Quellen“, sogleich mit Erklärungen zur Hand. Schliesslich sind sie ja nahe dran. Allerdings mit total widersprüchlichen Analysen
Die einen wollten eine Verjüngung der militärischen Führungsstruktur erkennen, jetzt wo es ja ums Eingemachte – nämlich das atomare Potential Nordkoreas – geht. Andere wiederum, wie die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap, sprachen von einem Generationenwechsel. Der Experte der japanischen Zeitung Asahi Shimbun jedoch glaubt, wiederum auf Grund von nicht näher definierten „Quellen“, dass zwei der drei neuen Generäle „allgemein als Moderate innerhalb des Militärs“ gälten. Kim, eine letzte Version, habe seine Macht gesichert.
Kims Reiseroute streng geheim
Wie Trump nach Singapur kommt, ist klar: mit der Airforce One. Doch das ist verständlicherweise den Nordkorea-Experten keine Zeile wert. Hingegen wird viel darüber spekuliert, wie denn Kim Jong-un seine rund 5000 Kilometer lange Reise von Pjöngjang nach Singapur hinter sich bringen wird. Wie alle Experten weiss auch Ihr Korrespondent, dass es eine russische Ilyushin-62M mit vier Triebwerken und einer Reichweite von 10’000 Kilometern sein wird. Die genaue Reiseroute ist natürlich streng geheim.
Dennoch nehmen einige Experten an, gestützt auf nicht näher genannte „Quellen“, dass Kims Ilyushin sich über chinesischem Staatsgebiet bewegen wird und zwar bis kurz vor Singapur. Schliesslich ist ja fast das ganze Südchinesische Meer fest in chinesischer Hand.
Begleitet soll die Ilyushin deshalb von chinesischen Kampfjets werden, eine militärische Eskorte, die – wiederum nach nicht näher bezeichneten „gut unterrichteten Quellen“ – ein Hinweis für die USA und Südkorea auf starke Unterstützung Nordkoreas durch Peking ist. Diese starke Unterstützung freilich ist seit längerem, das heisst seit den beiden Besuchen Kims in China im Frühjahr, längst bekannt.
Vom Waffenstillstand zum Frieden?
Eine offizielle Erklärung zum Ende des Koreakrieges (1950–53) wird von vielen Kommentatoren als Ausgang des Gipfeltreffens für möglich gehalten. Selbst US-Präsident Trump hält eine Friedensvereinbarung nach eigenem Bekunden für machbar. Wer weiss, vielleicht wird in Singapur, so einige Nordkorea-Experten, sogar Südkoreas Präsident Moon Jae-in noch auftauchen.
Doch Chinas Medien warnen. Die Tageszeitung «Global Times», ein Ableger des Parteiblattes «Renmin Ribao» (Volkstageszeitung), etwa schreibt: „Wenn Washington, Pjöngjang und Seoul eine Deklaration zum Kriegsende unterschreiben, wäre das eine gute Sache. …. Doch eine solche Erklärung kann nicht legal mit dem Waffenstillstandsabkommen von 1953 verbunden werden.“ Mit andern Worten, China muss zwingend involviert werden, denn „eine Vereinbarung über das Kriegsende ist ohne Beteiligung Chinas nicht gültig“. Schliesslich war China mit einer Million „Freiwilligen“ an der Seite Nordkoreas am Krieg beteiligt, und der noch heute geltende Waffenstillstand wurde 1953 von den USA, China und Nordkorea unterzeichnet.
Nomen est Omen
Nach dem letzten Stand der Dinge und nach verlässlichen Regierungsquellen Singapurs soll das Treffen auf der südlich der Halbinsel vorgelagerten Insel Sentosa stattfinden. Was für ein Omen. Sentosa heisst auf Malaiisch Ruhe, Frieden. Das neutrale Singapur, mittlerweile so etwas wie das Genf des Ostens für internationale Treffen, hält im Vorfeld des Gipfels den Ball bewusst flach.
Die westlichen Medien bereiten sich unterdessen auf einen kaum zu übertreffenden Hype vor. Was für Bilder, und im besten Falle Friede, Freude, Eierkuchen. Die Nordkorea-Experten werden aus dem Vollen schöpfen. Mit oder ohne Quellen, mit oder ohne tiefere Kenntnisse. Die Online-Redaktionen selbst ansonsten relativ seriöser Medien werden das machen, was völlig unnötig, nein, schlicht dumm ist, aber Klickzahlen liefert: Live-Ticker, das Geschehen Minute für Minute sozusagen. Das ist zwar für Sport eine gute Einrichtung, für alles andere aber purer Unsinn.
Tröstliches von Trump
Trotz Medien-Hype gibt es auch Tröstliches zu vermelden. Der grosse Deal-Maker US-Präsident Trump liess Ende Mai verlauten, dass das Singapur-Treffen ein Anfang einer guten Entwicklung sei. Trump nahm sogar das für ihn eher ungewohnte Wort „Prozess“ in den Mund. Doch Nordkorea-Experten, Kommentatoren und westliche Medien im Allgemeinen lieben eben das Zugespitzte, die Sensation. Deshalb erwarten sie nicht wie der vielgeschmähte Trump einen Prozess, sondern einen Durchbruch oder eben ein Desaster. Differenzieren eignet sich nicht für Schlagzeilen.