Griechenland ist zwar ein demokratischer Rechtsstaat, aber keine Meritokratie. Das ist schlecht für die wirtschaftliche Entwicklung, ändert sich aber auch unter der neuen Regierung nicht. Bisher setzt diese ihre Pläne um – ob sie aufgehen, ist eine andere Frage.
Die Kapitalverkehrskontrollen sind Geschichte. Die griechische Regierung hat jüngst die Beschränkungen beim Abheben von Geld in bar oder bei Überweisungen ins Ausland komplett aufgehoben. Diese Beschränkungen sind im Juni 2015 von der Vorgängerregierung eingeführt worden, um im Rahmen der Krise die Kapitalflucht und das Ausbluten des Bankensektors einzudämmen. Sie haben sich auch als probates Mittel gegen Steuerhinterziehung erwiesen. Bargeldlose Zahlungen waren nämlich immer in unbeschränkter Höhe möglich und so wurden die Griechen zur Benützung von Karten erzogen. Mit durchschlagendem Erfolg: Die finanzielle Konsolidierung Griechenlands ist nicht nur auf die Steuererhöhungen zurückzuführen, sondern auch auf die gleichzeitige erstmals erfolgreiche Bekämpfung der Steuerhinterziehung durch die Regierung Tsipras. Ob jetzt die Griechen in alte Muster zurückfallen und die Steuerhinterziehung wieder stärker grassiert, wird sich weisen.
Auch eine Senkung der unbeliebten Immobiliensteuer ENFIA – für die meisten Griechen ist das Eigenheim die wichtigste Wertanlage – wurde beschlossen. Ebenso ist eine Mehrwertsteuersenkung in Diskussion. Hier hatte schon die Vorgängerregierung im Mai beschlossen, die Sätze für verschiedene Produktgruppen zu reduzieren. Ministerpräsident Mitsotakis kündigte am Samstag zudem an, dass Bürger mit Jahreseinkommen von bis zu 10’000 Euro ab dem Jahr 2020 nur noch mit 9 statt bisher 22 Prozent besteuert werden sollen. Die Unternehmenssteuer soll zudem von 28 auf 24 Prozent sinken. Obendrein sollen Pensionäre eine Sonderzahlung bekommen und die Belastungen für Selbstständige sollen mittelfristig sinken.
Auch Privatisierungen sind im Programm: Vorgesehen sind der Verkauf des Gas-Unternehmens Depa und von Anteilen der Erdöl-Raffinerie Hellenic Petroleum und des Internationalen Flughafens Athen.
Die neue Regierung will weiter bereits in diesem Monat Hilfskredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) frühzeitig tilgen. Während der Euro-Stabilitätsfonds (ESM) den Griechen nur ca. 1 Prozent an Zinsen berechnet, schlagen die IWF-Kredite mit über 5 Prozent zu Buche. Mittlerweile kann sich Hellas auch an den Finanzmärkten deutlich günstiger refinanzieren, weshalb es sich lohnt, diese Kredite vorzeitig zu tilgen. Ausserdem hat die Regierung Tsipras ihren Nachfolgern Rücklagen von etwa 30 Milliarden Euro hinterlassen (während Tsipras beim Amtsantritt im Januar 2015 komplett leere Kassen vorgefunden hatte). Das Land ist damit bis 2022 nicht auf die Finanzmärkte angewiesen und durchfinanziert. Bis 2021 lassen sich so rund 100 Millionen an Zinsen sparen. Auch die politische Signalwirkung dieser schon durch die Regierung Tsipras angedachten Massnahme ist nicht zu vernachlässigen.
Lassen die Geldgeber mit sich reden?
Mitsotakis sagte ausserdem, sein Land werde in den Jahren 2019 und 2020 – wie mit seinen Geldgebern vereinbart – einen Primärüberschuss von 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen. Für 2021 hingegen hoffe er auf ein Entgegenkommen, den Überschuss auf zwei Prozent senken zu dürfen. Athen werde bis dahin seine Kreditwürdigkeit – etwa durch eine Modernisierung des Staates und den Abbau von Bürokratie – unter Beweis gestellt haben. Genau das, Modernisierung des Staates und Abbau von Bürokratie wären Kernthemen, wo ein Fortschritt Investoren anlocken könnte und dann Jobs und Wirtschaftswachstum entstehen würden.
Aber hier sehe ich zwei Fragezeichen
Erstens: Mindestens für 2019 und 2020 muss Griechenland noch den riesigen Primärüberschuss von 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen. Wie das geht, wenn man die Steuern senkt, ist mir nicht klar. Es gibt zwei Möglichkeiten oder eine Mischung davon: Durch verstärkten Kampf gegen die Steuerhinterziehung oder wenn durch das verbesserte Steuerklima Investitionen getätigt und das Wachstum stimuliert wird. Und diese Effekte müssen bereits im laufenden Jahr greifen. Wird aber das Ziel Ende 2019 stark verfehlt, wird das die Geldgeber auf den Plan rufen, die dann wiederum Massnahmen – sprich: Kürzungen im Staatshaushalt – verlangen und durchsetzen werden. Der verstärkte Kampf gegen Steuerhinterziehung könnte eventuell helfen, die ambitiösen Finanzziele zu erreichen. Bis das Wirtschaftswachstum aber anzieht, dürfte es dauern. Kurz und gut: ich kann mir nicht vorstellen, wie sich Ende Jahr die Finanzziele erreichen lassen.
Zweitens: Um Investitionen anzulocken, muss der Staat in der Tat transparenter werden und die Bürokratie abbauen. Aber in diesem Bereich ist äusserst fraglich, ob Mitsotakis und seine Regierung vorwärts machen werden: Griechenland ist zwar ein demokratischer Rechtsstaat mit unabhängigen Institutionen und allen wesentlichen Freiheitsrechten – aber mit gewissen Fehlern. Die Gesetze sind kompliziert und willkürlich und sie gelten nicht für alle Bürger in gleicher Art. Was Not täte sind Reformen, die Transparenz und Berechenbarkeit schaffen. Aber die alte Gewohnheit, Gesetzte ruck-zuck auf die Bedürfnisse der Regierung oder von gewissen Interessengruppen anzupassen und nicht umgekehrt, diese Gewohnheit ist auch mit der neuen Regierung des sich als moderner Manager gebenden Ministerpräsidenten Mitsotakis nicht verschwunden. Wenn man seinen Sonntagsreden zuhört, würde man meinen, dass der Beste jeweils den Job kriegt.
Dem ist aber nicht so. Um seinen Favoriten zum Chef des Geheimdienstes zu machen, änderte die Regierung diesen Sommer flugs das Gesetz. Dieses schrieb nämlich vor, dass der Kandidat über einen Universitätsabschluss verfügen müsse, was aber nicht zutraf. Nun fügte man ein, dass auch eine zehnjährige Berufserfahrung – offenbar gleichgültig in welchem Bereich – ausreichend sei. Natürlich protestierte die Opposition – und natürlich auf wenig glaubwürdige Art, denn als die radikale Linke (Syriza) oder die sozialdemokratische Pasok an der Regierung waren, taten diese Ähnliches und türkten die Verfahren, um Leuten ihres Vertrauens oder Parteimitgliedern Jobs zu verschaffen. Ausschreibungen wurden sehr kurzfristig angesetzt oder/und in einer Zeit, wo sie niemand sieht oder nicht reagieren kann – zum Beispiel in den Sommerferien oder über Festtage. Natürlich waren die bevorzugten Bewerber vorgewarnt und niemand anderes hatte Zeit, die Bewerbungsunterlagen rechtzeitig einzureichen. Auf dem Papier war alles in Ordnung und immer kamen die «richtigen» Leute zum Zug. Solche «Verfahren» habe ich mehrmals selber gesehen.
40 Jahre EU-Mitgliedschaft und 45 Jahre Demokratie konnten an diesem Missstand nichts ändern. Personen, die nicht den richtigen Stallgeruch haben, die nicht Insider sind und die man nicht kennt, wird misstraut. Man ist entweder dabei oder hat keine Chance. Griechenland ist alles andere als eine Meritokratie und das ändert sich offenbar auch mit der neuen, konservativen Regierung der Nea Dimokratia unter dem Ministerpräsidenten Mitsotakis nicht – einem ehemaligen Powerpoint-Folienmaler bei der Beratungsgesellschaft Mc Kinsey in London. Und dort wäre der Ministerpräsident heute noch immer, wenn er nicht Mitsotakis hiesse und Abkömmling einer der ältesten griechischen Politikerfamilie wäre. Das Investitionsklima lässt also trotz Steuersenkungen zu wünschen übrig.
Die «To-do-Listen»
Als Mitsotakis Ministerpräsident wurde, übergab er jedem neuen Minister einen Umschlag mit einer «To-do-Liste», die diese Ressortchefs bis Ende Jahr abarbeiten müssen. Ob diese Listen im Powerpoint-Format erstellt wurden, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Aber bisher gehen die Arbeiten planmässig voran – mit einer nur ganz kleinen Sommerpause. Die Regierung hat aber noch einen weiten Weg und ob die durch die Vorgängerregierung erreichte finanzielle Konsolidierung über die Runden gerettet wird, muss sich erst weisen.