Praktisch jedes europäische Land propagiert für den Sommer: „Bleiben Sie zu Hause!“ und „Ferien im eigenen Land“. Während Schweiz Tourismus die entsprechenden Ferienplakate aus dem 2. Weltkrieg ausgräbt, wurde der Druck immer grösser, die Grenzen koordiniert zu öffnen. Die Menschen verstehen, wenn man aus epidemiologischen Gründen die Grenzen schliessen muss, aber sie erwarten auch, dass diese Massnahme wieder aufgehoben wird, wenn die Gründe dafür wegfallen und wollen nicht, dass sie aus protektionistischen Gründen verlängert werden. Dieser Paternalismus nervt und „man merkt die Absicht und ist verstimmt“, um mit Goethe zu sprechen. Einerseits sind es getrennte Familien und Liebespaare, andererseits geschäftliche Interessen, an denen Existenzen hängen – und das nicht nur im Tourismus. Es sind hier Freiheiten gemeint, an die wir uns gewöhnt haben und die wir angesichts der Pandemie schmerzlich vermissen.
Wie könnte Reisen wieder möglich sein?
Griechenland hat einen Vorschlag gemacht, wie die Grenzen der Schengenzone auf sichere Art geöffnet werden können und damit auch der Fremdenverkehr dieses Jahr eine Chance hat. Wer heute nach Griechenland reist, wird für 14 Tage in Quarantäne geschickt. Griechenland möchte eine gemeinsame Vereinbarung erwirken, dass per 15. Juni innerhalb des Schengenraums ohne Quarantäne reisen darf, wer sich vorgängig auf Coronavirus oder dessen Antikörper testen lässt. Solche Tests wären nicht nötig zwischen Ländern, die zeigen können, dass sie die Pandemie unter Kontrolle haben. So wäre sichergestellt, dass nur zwischen Ländern voraussetzungslos gereist wird, die die Sache im Griff haben, und die verschiedenen Länder hätten auch einen zusätzlichen Anreiz, in ihrem Bemühen nicht nachzulassen. Athen schlägt zusätzlich vor, dass für alle Reisearten (Flug, Eisenbahn, Auto und Schiff) die gleichen Regeln gelten müssten. Bisher zieht die EU für die Zeit nach dem 15. Juni lediglich internationale Reisen mit Quarantäne und ohne Quarantäne in Betracht (wie sie in ihrem Vorschlag für eine stufenweise Aufhebung der Reisebeschränkung vom 13. Mai schreibt).
Eine andere Idee, die sich gut mit der griechischen kombinieren liesse, kommt von französischen Ökonomen. Sie funktioniert so: Jedes Schengenmitglied teilt sein Land in verschiedene Zonen ein. In Frankreich sind das zum Beispiel die Départements, in der Schweiz die Kantone und in Deutschland die Länder. Je nach epidemologischer Lage gäbe es dann grüne und rote Zonen. Und zwischen grünen Zonen könnte dann frei gereist werden – auch grenzüberschreitend. In den roten Zonen würden weiterhin Beschränkungen gelten. Reisende aus grünen Zonen könnten die roten Zonen allenfalls im Transit durchreisen, während Reisende aus roten Zonen nicht ohne weiteres in die grünen Zonen einreisen könnten. Wäre zum Beispiel die ganze Schweiz und ganz Griechenland eine grüne Zonen, während die Lombardei eine rote Zone wäre, dann müsste jemand, der bei seiner Reise nach Griechenland den Fährhafen von Ancona oder Bari erreichen möchte, bei der Einreise in die Lombardei ein Papier vorweisen, zum Beispiel ein Fährticket oder/und eine Selbstdeklaration. Und die Person müsste die Lombardei auf der Autobahn direkt durchqueren. So könnte gleichzeitig den Bedürfnissen nach Reisen oder der epidemiologischen Lage Rechnung getragen werden.
Die Alternative zu diesen zwei Vorschlägen ist nicht attraktiv – bilaterale Vereinbarungen, die immer das eine oder andere offen lassen und nicht mit gleichen Ellen messen. Anfänglich können solche Vereinbarungen helfen – immerhin haben Deutschland, Österreich und die Schweiz per 15. Juni Reisefreiheit vereinbart. Auch Italien will die Grenzen einseitig anfangs Juni wieder öffnen. Es wird sich dann zeigen, ob Griechenland Passagiere von Fähren aus Italien einfach so akzeptiert, oder ob eine Bestätigung verlangt wird, dass Italien nur im Transit durchquert wurde, oder ein Test oder eine Quarantäne. Deshalb müsste sehr schnell eine schengenweite Lösung gefunden werden.
Griechenland im Sommer
Wir können also davon ausgehen, dass – wenn es nicht zu einer zweiten Welle kommt – zumindest ab 1. Juli das Reisen nach Griechenland wieder ziemlich einfach sein wird, auch wenn gewisse Einschränkungen noch bleiben, und sich auch der Flugverkehr etwas normalisiert. Die Swiss hatte den Verkehr nach Athen nie vollkommen eingestellt. Per Auto ist noch unklar, ob die Route über Italien oder die Route über den Balkan einfacher ist.
Allerdings werden die diesjährigen Sommerferien anders verlaufen. Vorsichtsmassnahmen beschränken sich nicht nur auf Flugzeuge und Schiffe, sondern gelten auch in der Öffentlichkeit und in Hotelanlagen. So müssten etwa die Sicherheitsabstände zwischen den Menschen eingehalten werden; Bars bleiben eventuell ganz geschlossen. Mit Rambazamba und Halligalli auf Mykonos wird es also wohl nichts werden und die Schlacht am Büffet dürfte ausfallen.
Aber das Land hat unberührte Strände, pittoreske Inseln und Strandtavernen mit viel Platz. Verteilt sich der Tourismus, können die Abstandsregeln problemlos eingehalten werden. Und das unvergleichliche Blau des Himmels und des Meers sowie der Sonnenuntergang und der Apéro im Mondschein – dabei steckt man sich nicht an.
Bereits ab 18. Mai erhöht Griechenland die die Anzahl der Inlandflüge deutlich. Ab diesem Tag wird es auch wieder möglich sein, in Griechenland vom Wohnort aus in einen anderen Verwaltungsbezirk oder auf die Inseln Euböa und Kreta zu reisen. Eine Woche später dürfen dann die Griechen wieder die ganze Inselwelt bereisen. Die Gastronomie öffnet am 25. Mai und die Hotels anfangs Juni. Anfangs Sommerferien sollte dann alles bereit sein.
Selbst für eine zweite Pandemiewelle ist Griechenland besser vorbereitet als beim ersten Ausbruch, denn das Land hat in den letzten Wochen bei den Betten auf der Intensivstation zum EU-Durchschnitt aufgeholt. Die Infektionsrate ist weiterhin extrem gering.
Die grosse Kehrseite – die Wirtschaft
Das grosse Problem ist ein wirtschaftliches; die Pandemie setzt der griechischen Konjunktur der grossen Abhängigkeit vom Tourismus wegen mehr zu als den meisten anderen europäischen Ländern. Den Prognosen der EU-Kommission zufolge wird Griechenlands Bruttoinlandprodukt (BIP) dieses Jahr um 9,7% einbrechen – weit mehr als die 7,75%, für die ganze Eurozone. Auch der Einbruch der Binnennachfrage aufgrund der Ausgangssperre trägt das seine dazu bei. Die griechische Wirtschaft dürfte sich allerdings 2021 rasch erholen, aber weniger stark als der heurige Einbruch beträgt. Es bleibt also ein Wohlstandsverlust zurück – nach dem Absturz im Gefolge der Finanzkrise ist das besonders bitter. Mit einer gigantischen Welle von Firmenkonkursen und Entlassungen rechnet die Kommission allerdings in Griechenland nicht: Das Paket an Gegenmassnahmen der Regierung dürfte sich in dieser Hinsicht als effektiv erweisen. Das heisst aber noch lange nicht, dass die Arbeitslosigkeit nicht steigen wird.
Das Konjunkturpaket der Regierung wird aber die Staatsfinanzen merklich verschlechtern. Der Schuldenstand des Landes schiesst hoch und dürfte Ende 2020 der Kommission zufolge 196% des BIP betragen. 2019, nach dem Ende des EU-Rettungspaketes belief es sich noch auf 177%. Damit hat sich die Frage, ob dieses Paket zu einer nachhaltigen Sanierung der Staatsfinanzen führen wird, wohl erledigt – auch wenn die Gefahr eines erneuten Staatsbankrotts nicht unmittelbar gegeben ist.