Der „Isaan“ ist das Armenhaus Thailands. Das Gebiet liegt im Nordosten des Landes auf der Khorat-Hochebene. „Die Leute hier gehen früh zu Bett und stehen früh auf“, sagt er. „Vom modernen Wirtschaftsleben spürt man noch wenig.“
Der Zürcher Anton Moos ist Fotokünstler. Lange Jahre war er Materialwart bei den Zürcher Grasshoppers. Erstmals kam er vor 12 Jahren in den Isaan. Und er kam immer wieder. Im Dorf Ban Hua Dong lernte er eine Lehrerin kennen, eine gebildete Frau namens Meeporn. Sie ist „politisch wach, mutig, sie sagt was sie denkt“.
Ihr Vater war früher Dorfchef in guter Position. Geprägt von Mao wollte er seinen Kindern eine gute Ausbildung bieten. Seine zwei Töchter waren die ersten im Dorf, die studieren konnten. Um ihnen dies zu ermöglichen, verkaufte er 30 Büffel.
Immer wieder zog es nun Moos in den Isaan und zu Meeporn. Die Familie besitzt vier Reisfelder. Und so wurde denn Anton Moos Reisbauer in Thailand.
500 bis 600 Menschen wohnen in dem Dorf. Die Menschen stehen um halb fünf Uhr auf. Wenn am frühen Morgen der Nebel über die Felder streicht und die Sonne aufgeht, „ist das alles einfach nur atemberaubend“. Das Leben spielt sich zu einem grossen Teil im Freien ab. „Hier wird es bis zu 40 Grad warm. Jeden Morgen wird das Haus gereinigt. Jeden Tag wird die Wäsche draussen von Hand in grossen Becken gewaschen“, sagt Moos. Das Wasser aus der Dorfleitung muss sparsam gebraucht werden und ist nicht trinkbar. Gekocht wird vorwiegend draussen an der Feuerstelle unter dem „Reishaus“. Um halb acht gehen die Lehrer und die Kinder zur Schule.
„Mit Insekten plagt man sich tagein, tagaus ab“, sagt Moos. Mit dem Essen habe er zu Beginn Mühe gehabt: „Hier essen sie alles, Käfer, Ratten, Heuschrecken, Frösche, Marder, Hasen, Schlangen.“ Er selbst habe noch nie eine Ratte gegessen.
Wie wurde der Zürcher im Dorf aufgenommen? „Zunächst keineswegs mit offenen Armen“, sagt Moos. Die Leute sind Fremden gegenüber eher kritisch eingestellt. „Der will doch mit Meeporn nur ins Bett“, hiess es „und dann geht er wieder.“ Meeporn selbst wurde als Prostituierte verschrien. Doch ihr Vater, der Einfluss im Dorf hat und geachtet wird, verteidigte die beiden und die Kritik legte sich.
Dann vermachte der Vater den beiden eine 7’000 Quadratmeter grosse Parzelle. Und darauf liessen sie vor drei Jahren ein Haus bauen. Doch ein Haus baut man hier nicht einfach so. Denn – so der Glaube hier – das Land gehört nicht in erster Linie den Menschen, sondern den Tieren und den Naturgeistern. Deshalb komme eine Schamanin oder ein Mönch vorbei, sagt Moos. Sie prüfen, ob man würdig sei hier zu bauen, und dem Naturgeist des Landes müsse vor dem Bauen in Ritualen gedankt und Geschenke gebracht werden. Die Schamanen seien meist Frauen; sie heilen, sagen die Wahrheit voraus und stehen mit Geistern in Kontakt. Schamaninnen würden bescheiden leben, Geld spiele eine untergeordnete Rolle. Die Dorfbewohner brächten ihnen häufig Geschenke, Lebensmittel und etwas Geld.
Neben der Schamanin haben auch der Mönch des Dorfklosters und der Dorfälteste ein wichtiges Wort mitzureden. Anton Moos und Meeporn bekamen schliesslich grünes Licht zum Bau ihres Hauses. „Wir wollten ein einfaches, traditionelles Haus mit einem grossen Raum innen, denn dort sitzt man am Boden zusammen, isst und unterhält sich. Der Stubentisch ist vor allem da für die Gäste aus dem ‚Westen’. Unser Haus ist umgeben von vielen Bäumen und Pflanzen: Mangobäume, Bambus, Bananen, Papaya, Ananas.“
Als sie heiraten wollten, gingen sie zum Mönch. Der musste beurteilen, ob sie zusammenpassen. Die Heirat wurde in ihrem Haus gefeiert. Das halbe Dorf kam vorbei. Schon um vier Uhr früh kamen die ersten Frauen, die Feuer machten und Gemüse kochten. Um zehn Uhr wurden die ersten Geschenke gebracht.
Meeporn arbeitet als Lehrerin in einem Nachbardorf hinter den Reisfeldern. Der Schulweg führt fünf Kilometer durch die Reisfelder. Eine erfahrene Lehrerin verdiene in Thailand sehr gut, nämlich etwa 1500 Franken pro Monat. Das sei etwa fünf bis acht Mal so viel wie eine Verkäuferin oder ein Landarbeiter.
Auch Moos unterrichtet nun drei Mal in der Woche in der Dorfschule Englisch. Wieviel verdient er? „Ich mache das doch gratis, ich habe in der Schweiz eine Pension, das genügt längstens, und es macht mir und den Kindern viel Freude und Spass.“
Die Menschen hier seien ein fröhliches Volk, sie tanzten, lachten, musizierten. „Sie wollen immer Spass haben“, sagt Moos. „Auch wir tanzen mit ihnen, beteiligen uns an den Festen und an den religiösen Feierlichkeiten. An der Schule habe ich schon ein Theaterstück mit den Kindern eingeübt.“
Obschon es im Dorf strenge Regeln gebe, verstecke man sich nicht vor den andern. Niemand schere sich darum, was der Nachbar macht. Man spreche offen über alles, auch darüber wie oft man Sex hat. Niemand sei verklemmt, alle seien offen und sehr lustvoll.
Die Gegend lebt vom Reis. Die seit Jahrhunderten topfebenen Felder liegen nach der Ernte zwei Monate brach unter der Sonne und werden steinhart. Dann leitet man, über ein Kanalsystem, aus einem 50 Kilometer entfernten Staudamm Wasser auf die Felder. Der Boden wird so aufgeweicht und mit einem Traktor gepflügt und fein geeggt. Jetzt wird das Saatgut auf die lehmige Schicht verteilt. Früher säte man von Hand, heute trägt man die Saat in einem Behälter auf dem Rücken und versprüht sie mit einem Gebläse.
Nun wächst der Reis und das Unkraut muss gejätet werden. Mit getrocknetem Rinder- und Kräutermist wird gedüngt. Viele würden chemischen Dünger einsetzen. „Wir nicht, obwohl das mehr Ertrag gäbe“, sagt Moos. Erst wenn die Halme etwa 30 Zentimeter hoch sind, lässt man das Wasser etwa 20 Zentimeter hoch auf die Felder. Der obere Teil der Halme muss in der Sonne stehen.
Wenn grosse Regenfälle niedergehen, können sie die gesamten Halme überdecken und der Reis verfault. Das sei im vergangenen Jahr bei Überschwemmungen an vielen Orten geschehen, sagt Moos. „Wir hatten Glück.“
Da mit dem Handgebläse nicht regelmässig gesät werden kann, kommt dann die Zeit des Pikierens. Arbeiter, die im Wasser stehen, nehmen einzelne Pflänzchen heraus und pflanzen sie um. Viel Reis in der Gegend sei voll Pestizide. „Wir können das Grundwasser wegen des jahrzehntelangen Einsatzes von Herbiziden nicht trinken.“ Viele Reisbauern würden die Felder mit Chemikalien bespritzen.
Auch im Wasser, in dem der Reis steht, gebe es Schädlinge: kleine Fische, Muscheln und Krebse, die Wurzeln und Halme fressen. Anton Moos und seine Frau lassen dann Enten kommen. Riesige Lastwagen bringen Tausende Enten, die auf die überfluteten Felder getrieben werden und Schädlinge im Wasser fressen. Haben die Enten ihre Pflicht vollbracht, werden sie wieder eingetrieben und zu einem anderen Reisfeld gebracht.
Im Isaan kann man zwei Mal im Jahr Reis ernten. Die Haupternte findet Anfang November statt. Insgesamt produzieren Moos und Meeporn etwa 14 bis 15 Tonnen Reis pro Jahr. 80 Prozent sind Jasmin-Reis, eine alte Sorte. Diese bringe ihnen zwar weniger Ertrag als modernes Saatgut, doch dieser Reis müsse nicht unbedingt gespritzt werden.
Neben dem Jasmin-Reis wird im Isaan viel Klebereis angepflanzt. „In Bangkok lachen sie über diesen Reis“, sagt er. Zum Kochen dämpft man ihn am frühen Morgen über einem Wasserbecken, nachdem er über Nacht im Wasser eingeweicht wurde. So wird er fest wie eine Polenta. Man isst diesen sehr nahrhaften Reis mit der Hand. Und man isst ausschliesslich diesen Reis. „Meine Frau nimmt ihn in einem Bastkorb mit in die Schule.“
Eine zweite Ernte findet im April statt. Dieser Reis, Naprang genannt, ist in drei Monaten reif und vor allem als Tierfutter und für die Nahrungsmittelindustrie bestimmt.
Kaum ein Reisbauer könne heute noch ausschliesslich vom Reis leben, sagt Moos. In Pickups werden sie am Morgen abgeholt und nach Khon Kaen, die 28 km entfernte grössere Stadt gebracht. Dort arbeiten sie in Fabriken, als Handwerker oder auf dem Bau. Viele Frauen befinden sich darunter. Vor allem die Jungen bräuchten Geld für Auto, Handys, Fernsehen etc. „Sie verrichten jede Arbeit“, sagt Moos.
Nicht alles ist gut. Verkehrsunfälle häufen sich. „Männer und Frauen fahren vor allem mit den vielen Motorrädern wie Gangster“. Die Kleinkriminalität und das Drogenproblem wächst. Vor allem Amphetamin, in Thailand hergestellt, wird häufig konsumiert. „In unserer Gegend haben viele Jungen Drogenerfahrung“, sagt Moos. Schon 15-Jährige konsumieren Drogen. Auch der Alkoholkonsum ist sehr verbreitet. Thailand braut einen eigenen Whisky, den Maekong-Whisky. Junge Mädchen haben oft schon früh Kinder. Viele Eltern arbeiten auch in Bangkok und die Grosseltern unterhalten Tochter und Kind.
Vielweiberei sei in seiner Gegend noch immer verbreitet, sagt Moos. Doch nur die Besserverdienenden, zum Beispiel Beamte und höhere Angestellte oder Unternehmer, könnten sich zwei, drei Frauen leisten. Weit verbreitet sind auch Bordellbesuche. „Eines der Bordelle befindet sich hinter unserem Reisfeld.“
Mehrmals hat Anton Moos mit seiner Frau die Schweiz besucht. Was hält sie von unserem Land? Die Menschen seien sehr freundlich, sage sie, zuvorkommend und doch etwas verschlossen, und „sie gehen und laufen sehr schnell“. Und: Es sei „verrückt, welche Quantitäten die Schweizerinnen und Schweizer täglich essen.“