Australien hat 2014 den Vorsitz in der G-20, der Gruppe der 20 grössten Länder und Organisationen der Welt. Damit fand das traditionelle Treffen der Finanzminster und Notenbankgouverneure dieser Gruppe, wo jeweils die wirtschaftliche Zielsetzung für das laufende Jahr vorgegeben wird, am vergangenen Wochende in Sydney statt. Der alljährliche G-20 Gipfel wird im Herbst in Brisbane abgehalten.
Diesmal ohne Schweizer Präsenz
Im Gegensatz zu 2013, als die Schweiz vom russischen Vorsitz zum ersten Mal an einen solchen Finanzgipfel eingeladen worden war, erhielt Bern dieses Jahr keine entsprechende Einladung. Die wenigen ‘wild cards’, welche dem Vorsitzland zur Verfügung stehen hat Australien naturgemäss im Grossraum Asien-Pazifik vergeben. In Sydney dabei waren Singapore, Myanmar als Vorsitz der ASEAN sowie Neuseeland als engster Partner Australiens.
Hauptresultat in Sydney war die Festlegung eines globalen Wachstumsziels von 2 Prozent über die nächsten fünf Jahre. Dazu sollen alle Mitgliedsländer in Brisbane einen detaillierten Plan vorlegen, wie sie national, mit Reformen und anderen Massnahmen zur Wachstumssteigerung, vorgehen wollen. Diese nationalen Pläne sollen am Gipfel zur Diskussion und Kritik der anderen Mitglieder offenstehen. Ziel ist es, damit zu einer ‘umfassenden und koordinierten Wachstumsstrategie’ zu gelangen. Ob dies gelingt wird natürlich weiterhin von den nationalen Politik jedes Mitglieds abhängen.
AIA soll bereits 2014 beginnen
Nicht im Zentrum der Diskussionen in Sydney stand entgegen den Erwartungen die negative Auswirkung der langsamen Mittelverknappung durch die amerikanische Zentralbank (tapering by the Fed) auf Investitionen in den Schwellenländer. Indien und Brasilien hatten sich im Vorfeld entsprechend verlauten lassen. Die neue Fedchefin Janet Yellen hatte darauf ihrerseits klargestellt, dass sie allein der amerikanischen Wirtschaftsentwicklung verpflichtet sei. Der englische und der australische Finanzminister, beide Teil einer konservativen Regierung, hatten ins selbe Horn gestossen und ein Abbau von Schuldenwirtschaft generell sowie vermehrte Reformanstrengungen der Schwellenländer selbst gefordert.
Mit diesen Forderungen hat die Schweiz keine Mühe. Über die uns speziell intressierenden Fiskalfragen wurde in Sydney ebenfalls gesprochen aber lediglich als Bestätigung, dass der automatische Austausch zwischen Steuerbehörden (AIA) bereits 2014 zwischen G-20 Staaten beginnen werde.
Damit wird natürlich auch der Druck auf andere Länder mit wichtigen Finanzmärkten wie die Schweiz zunehmen. Gleiches gilt für die Unternehmensbesteuerung, wo explizit auch die sogenannten Lizenzboxen (tiefere Besteuerung für Einnahmen aus Erträgen aus Patenten, Lizenzen etc.) als potentiell ‘schädliche Steuerpraxis’ ins Visier genommen werden sollen.
Die diesbezüglich realistische Einschätzung durch Finanzministerin Widmer-Schlumpf auf laufende Gesetzgebungsverfahren in der Schweiz ist also ausdrücklich zu begrüssen. Jene, welche mit Entrüstung auf fehlende Gegenleistung für schweizerisches Einleken zum AIA hinweisen und angebliche Sonderregeln für den amerikanischen Finanzmarkt beklagen, verkennen völlig, dass es hier nicht mehr um Verhandlung geht, sondern lediglich mehr um Durchführung international abgesegneter Materie.
Finanzhilfe für die Ukraine – aber wie?
Da sich in Sydney Finanzminister trafen, war Politik nicht offiziell auf dem Programm. Dennnoch war natürlich die Ukraine ein Thema, zumal die Direktorin des internationalen Währungsfonds IWF Christine Lagarde ebenfalls teilnahm. Hier geht es darum, einem wirtschaftlich bankrotten und politisch zerissenen Land so zu Hilfe zu kommen, dass einerseits die Ukraine ihre innere Stabilität festigen und ihr Verhältnis zu Europa vertiefen kann, ohne andererseits Russland zu stark zu provozieren. Moskau kann die Ukraine zwar kaum retten, aber könnte ihren inneren Zusammenhalt wohl zerstören. So beispielsweise mit einer einseitigen Annexion der Krim, wie das Moskau ähnlich bereits mit seinen Einflusssphären in Georgien getan hat.
An einem allfälligen EU-Hilfspaket für die Ukraine wird sich auch die Schweiz beteiligen müsssen. Ein Verweis auf Leistungen lediglich via den IWF wird nicht ausreichen.
Der rasche Entscheid, das uns aussenpolitisch Mögliche im Rahmen der von der Schweiz innegehaltenen OSZE-Präsidentschaft zu tun, ist sehr zu begrüssen. Ein grosses Problem ist dabei die seit einiger Zeit bestehende generelle Ablehnung der OSZE durch Moskau . Für den autoritären Präsidenten Putin ist die OSZE mit ihrer Insistenz auf demokratisches und rechtsstaatliches Handeln wohl ein Dorn im Auge.
Obamas Dilemma zwischen Japan und China
Politisches Hauptthema der G-20 in Brisbane werden voraussichtlich die rasch zunehmenden Spannungen und Unsicherheiten im Grossraum Asien-Pazifik sein. An erster Stelle stehen der Konflikt zwischen China und Japan, wo durch beide Regierungen in ihren Ländern ohnehin bestehende nationalistische Regungen weiter angeheizt werden. Der japanische Regierungschef Abe zeigt sich immer mehr als ungehemmt auf nationalistischen Registern spielender Populist, in jüngster Zeit auch gegenüber dem eigentlich natürlichen Verbündeten Südkorea, das von einer eher schwachen Präsidentin geführt wird.
Dies stellt insbesondere die USA vor ein Dilemma. Washington muss einerseits auf vertragliche Verpflichtungen, mit Truppenpräsenz, in Japan und Südkorea Rücksicht nehmen müssen und andererseits den ohnehin grösser werdenden Intressengegensatz mit dem rasch wachsenden China nicht zum neuen kalten Krieg auswachsen sehen wollen. Ein solcher würde, im Gegensatz zum kalten Krieg 1950-90, auch die Weltwirtschaft nachhaltig in Mitleidenschaft ziehen.
Das im Vergleich zur forschen und plakativen Aussenpolitik seines direkten Vorgängers allgemein meist zögerliche und pragmatische Vorgehen von Präsident Obama wird auf harte Probe gestellt werden. Im Gegensatz zu Bush hat Obama mit einem teilweise völlig unvernünftigen Kongress - der eben eine dringend notwendige, international breit abgestützte Reform des IWF verunmöglicht hat - und imperativen Sparzwängen zu kämpfen.
Die EU-Aussenpolitik – ein Baby am Wachsen
So werden entsprechend soeben bekannt gewordenen Massnahmen die amerikanischen Streitkräfte verkleinert. Dies zwar massvoll, aber doch so, dass gleichzeitiges Führen von Kriegen wie im Irak und in Afghanistan unter Beibehaltung der Fähigkeit zur raschen Krisenintervention irgendwo auf der Welt viel schwieriger wird. Die USA als essentiell pazifische Macht werden es sich indessen niemals nehmen lassen, bei Bedarf im Asien-Pazifik zu intervenieren.
Vor diesem grossen, globalen Hintergrund sind die sich in jüngster Zeit häufenden Beschwörungen an europäische Adressen, speziell natürlich an die EU, zu verstehen, mehr für unweigerlich kommende, und bereits eingetretene Krisenprävention zu machen, speziell im militärischen Bereich.
Die Gemeinsame Aussen-und Sicherheitspolitik der EU (GASP) ist im Moment erst im zarten Säuglingsalter. Immerhin wird das Baby unter dem Druck der Ereignisse kräftiger. Nicht weniger als zehn EU-Länder, darunter auch so kleine wie Estland. haben eben zugesagt, die französischen Streitkräfte in der zentralafrikanischen Republik - zur Genozidverhütung dort positioniert - zu verstärken.
EU - wenig Zeit und Lust für Verhandlungen mit der Schweiz
Deutschland bewegt sich langsam aber stetig weg vom Statut einer sicherheitspolitisch ‘grossen Schweiz’ (nicht mein Zitat) zu einer auch militärischen Präsenz ausserhalb seiner Grenzen. Europa hat kaum eine andere Wahl als ‘aufzuhören, sich unter der Bettdecke zu verkriechen’, wie dies der einflussreiche Kommentator Philip Stevens in der “Financial Times” forderte.
Schliesslich der Bogen zurück zur Schweiz und ihrem spezifischen Problem der Beziehungen zur EU nach der verhängnisvollen Abstimmungen vom 9.2. Die EU, eben aus der schwersten Wirtschaftskrise ihres Bestehens hervorgehend und sich wappnend angesichts solcher internationaler und nationaler (Europawahlen im Zeichen der Immigrationsproblematik; Regionalismus in Schottland, Katalonien und anderswo) Herausforderungen, hat kaum Zeit und wenig Lust, sich um diesen Komplex zu kümmern. Keine Zeit, mit der Schweiz zu verhandeln, da Dringenderes ansteht und keine Lust, da mit dem helvetischen Abstimmungsstich ins Wespennest Immigration unnötig xenophoben und nationalistischen Kräften Auftrieb verholfen hat.
Mehr Gelassenheit in Berlin als in Paris
So wird nämlich der schweizerische Entscheid interpretiert, zumindest bei einer breiten Front nationaler Entscheidungsträger von der gemässigten Rechten bis zur linken Seite. Natürlich enthält der freie Personenverkehr innerhalb der EU, geschweige denn Wirtschaftsimmigration von ausserhalb, auch zahlreiche schwierige, und teilweise problematische Aspekte. Dass aber ausgerechnet die Schweiz, als offensichtlicher Nettogewinner eines grenzenlosen Europas, und eine rechtsextreme Partei in der Schweiz (als dies wird in ausländischer Perspektive die SVP allgemein aphostrophiert) den ohnehin vom europessimistischenm Zeitgeist profitierenden extremen Rechten im Euroraum eine Steilvorlage zuspielt, hat erstaunt, enttäuscht und erzürnt.
Dass gewisse bilaterale Reaktionen mehr und andere weniger heftig ausfallen ist belanglos und lässt sich überdies leicht erklären. In Deutschland, wo die extreme Rechte aus historischen Gründen nur als Randerscheinung existiert, reagierte man gelassener als in Frankreich, wo die extreme Rechte sowohl für die sozialdemokratische Regierung als auch die konservative Opposition eine ständige Herausforderung darstellt. Ebensowenig sticht das Argument des unabänderlichen Volksentscheides. Alle europäischen Länder verstehen nämliche ihr repräsentatives Modell als mindestens ebenso demokratisch wie unser sehr speziellesAbstimmungsmodell.