Griechenland ist die weltweit grösste Seefahrtsnation. Würde die Regierung die Vereinbarung mit den Geldgebern umsetzen, dann bliebe das nicht lange so.
Wo geht man hin, wenn man in Griechenland etwas Besonderes zu feiern hat? Auf eine Insel. Wir entschieden uns für einige Tage Skopelos: Die Insel aus dem Bilderbuch, die dem Film zum Musical Mamma Mia als Kulisse gedient hat.
Wir fanden die Fahrpläne online, buchten und pünktlich um 10 Uhr morgens legte die Fähre im Hafen von Kymi ab. Ebenso pünktlich lief sie drei Stunden später im Hafen von Skopelos ein.
Identitätsstiftende Beziehung
Die Schifffahrt. Dieser Wirtschaftszweig versinnbildlicht die fast mystische und identitätsstiftende Beziehung, die die Griechen mit dem Meer unterhalten. In der Antike hat das Orakel von Delphi in rätselhaften Worten gesagt, dass die Kriegsschiffe Athen retten würden, und heute rettet die Schifffahrt die griechische Wirtschaft – wenigstens teilweise.
Die Schifffahrt ist eine der ganz wenigen Branchen, der die Krise nichts anhaben konnte. Sie steuert nach wie vor 7% der griechischen Wirtschaftsleistung bei. Mit einer Flotte von anfangs Jahr 4 909 Schiffen (202 mehr als im Vorjahr), ist Griechenland die führende Schifffahrtsnation – vor Japan, China und Deutschland.
Tiefe Besteuerung
Warum ist das so? Einen Grund haben wir genannt: Die lange Tradition Griechenlands als Seefahrernation. Hunderte und tausende von Inseln müssen erschlossen werden durch ein System von Schiffen, und so liegt es nahe, auch in die Ferne zu schweifen.
Der zweite Grund ist die tiefe Besteuerung. Griechenland kennt die sogenannte Tonnagebesteuerung. Dieses System wurde nach dem zweiten Weltkrieg eingeführt, um der im Krieg zerstörten Handelsflotte wieder auf die Beine zu helfen – mit durchschlagendem Erfolg. Tonnagebesteuerung bedeutet, dass eine Reederei für die Tonnage eines Schiffes bezahlt und nicht für den Gewinn, den es erwirtschaftet.
Tonnagebesteuerung
Das ist im Vergleich zu einem Land, das die Schifffahrt wie ein normales Unternehmen am Gewinn besteuert, extrem günstig. Stammtischpolitiker, die fordern, Griechenland solle endlich die Reeder richtig besteuern und damit die Kassen sanieren, vergessen aber eins: Nicht weniger als 14 EU-Länder kennen die Tonnagebesteuerung.
Würden die Griechen nun also die Tonnagebesteuerung stark erhöhen oder abschaffen, dann würden die sehr mobilen Reedereien in grosser Zahl abwandern: nach Hamburg, Amsterdam, Antwerpen – wo auch immer. Das Resultat wäre doppelt negativ: Der Fiskus hätte seine Einnahmen nicht erhöht und Arbeitsplätze würden in grosser Zahl verloren gehen.
Ein Schelm, wer etwas Schlechtes über Schäuble denkt
Bei der letzten Darlehensvereinbarung (Memorandum III) im letzten Sommer musste Griechenland einwilligen, die Reeder stärker zur Kasse zu bitten. Das ist bisher zum Glück nicht geschehen, auch weil die Tonnagebesteuerung seit 1967 in der Verfassung festgeschrieben ist. Und Verfassungsänderungen brauchen Zeit. Es ist aber zu hoffen, dass Ministerpräsident Tsipras auch hier das macht, was er meistens macht: möglichst nur das von der Darlehensvereinbarung umsetzen, was er wirklich muss. Und eine Änderung an der Tonnagebesteuerung gehört hier sicher nicht dazu.
Länder wie Deutschland müssen sich ausserdem den Vorwurf gefallen lassen, dass sie diese Forderung aus egoistischen Gründen gestellt haben. Auch Deutschland kennt die Tonnagebesteuerung, will sie aber den Griechen nicht gewähren. Wohin würde wohl ein Teil der Reedereien abwandern, wenn deren Besteuerung sich zu deren Ungunsten verändern würde? Ein Schelm, wer etwas Schlechtes über Herrn Schäuble denkt.