Wer war der älteste international bekannte Schweizer? Nein, nicht Wilhelm Tell, sondern der heilige Moritz. Er stammte zwar aus Afrika, starb aber als christlicher Märtyrer zu Beginn des 4. Jahrhunderts im Wallis. Das Andenken an ihn als Schutzheiliger des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, hat seinen Mittelpunkt im ältesten seit seiner Errichtung (515 n. Chr.) ununterbrochen funktionierenden christlichen Kloster der Welt, der Abbaye de St. Maurice d’Agaune. Das Kleinstädtchen St. Maurice, das wir heute im Autobahntunnel umfahren, liegt bekanntlich ein paar Kilometer westlich von Martigny, dort wo im Unterwallis die Bergketten am nächsten zusammenrücken.
Zeugen längst vergangener Zeiten
Der einzigartiger Klosterschatz der Abbaye, angereichert durch Schriften aus ihrem Archiv und einer aus Deutschland stammenden Skulptur aus dem 13. Jahrhundert von Moritz als afrikanischem(!) Krieger mit mittelalterlicher Rüstung, wird zum ersten Mal überhaupt als Ganzes ausserhalb der Klostermauern gezeigt. Auf kleinem Raum sind im Louvre rund 40 faszinierende Ausstellungsobjekte zu sehen, welche von mit Edelsteinen reich verzierten Reliquienschreinen und ihren tausendjährigen, königlichen ‘Geschenkkarten’ bis zum Schwert des Heiligen reichen. Alles Zeugen einer längst vergangenen Zeit, als das Zentrum von Europa gleich südlich und nördlich der Alpen lag, mit der heutigen Schweiz mittendrin.
Speziell ins Auge fällt unter den Ausstellungsstücken etwa der in den Klosterwerkstätten im 12. Jahrhundert gefertigte, stattliche Reliquienschrein von Klostergründer Sigismund und seinen Kindern Gistald und Gondebald, welcher noch heute bei Prozessionen von vier Mönchen durch St. Maurice getragen wird. Das Edelmetall dazu erhielt das Kloster als Rückzahlung eines klösterlichen Goldschatzes, mit welchem ein burgundischer Adliger seinen Kreuzzug nach Jerusalem finanziert hatte. Dessen Söhne entschädigten das Kloster mit erheblichen Mengen von Gold und Silber, woraus Kleinodien, wie eben der Schrein des heiligen Sigismund geschaffen wurden. Eine Art Kreditgeschäft mit gewinnbringend angelegten Zinsen, welches durchaus als Vorläufer des internationalen schweizerischen Bankgeschäftes gesehen werden kann.
Die Religionen der Welt
St. Maurice d’Agaune im Wallis; der Zusatz stammt vom keltischen Wort Agaunus, der Felsen. Der Name erinnert daran, dass noch vor den Römern die Kelten die strategische Bedeutung dieser natürlichen Talsperre erkannten. Die Kelten, Vorfahren vieler Europäer, so der Franzosen, der Iren, der Basken, der Bretonen und als Hevetier natürlich auch der Schweizer. Kelten, über Jahrtausende weg klassische Emmigranten und Immigranten in der ganzen Welt, deren kulturelles Erbe heute noch von der Ostküste der USA über den Nordosten Europas bis hin in den Südosten von Australien gepflegt wird. Der australische Nationalsport ist nämlich weder Surfen noch Rugby, sondern ‘Footy’, gälischer Fussball moderner Prägung.
Nicht nur die christliche, sondern alle grossen Religionen der Welt spiegeln sich in einer ungleich grösser angelegten Ausstellung gleich nebenan im Louvre. ‘Louvre Abu Dhabi, Birth of a Museum’, unter diesem englischen(!) Originaltitel stellt das Muttermuseum in Paris seinen ersten, noch ungeborenen internationalen Sprössling vor. Rund 150 Kunstwerke aus allen vier Ecken der Welt und aus allen Zeitaltern, von einer baktrianischen Prinzessin, welche 2000 v.Chr. in Zentralasien geschaffen wurde bis zu einem halbabstrakten Portrait des französischen Ehepaares (Yves) Klein aus den 1960er Jahren und von einer frühpersischen Wasser- und Weinkanne zum Silbersamowar aus der Wiener Werkstätte in den 1930er Jahren.
Abu Dhabi kauft
Die aktuellen Weisen aus dem Morgenland, die superreichen Ölprinzen vom Golf wollen im Vorort der Vereinten Arabischen Emirate, in Abu Dhabi also, ein Universalmuseum schaffen und haben sich dazu der Hilfe eines der wenigen Museen der Welt versichert, welches ihnen dabei helfen kann, eben des Louvre. Dieser wurde ja gegen Ende des 18. Jahrhundert als das Museum schlechthin geschaffen, um alle Kunst allen zugänglich zu machen.
So weit so gut. Indes zeigt die hier beschriebene Ausstellung noch nicht das beabsichtigte Amalgam mit französischen Leihgaben, um die Verbundenheit aller kulturellen Werte zu zeigen und einen globalen Kunstdialog zu führen. Da der grossartige Museumsentwurf von Jean Nouvel noch gar nicht fertig gebaut ist, kann auch noch keine solche Ausstellung stattfinden. Was im Moment im Louvre, Paris gezeigt wird ist vielmehr der Grundstock einer ständigen Sammlung von globaler Kunst über einen Zeitraum von 4000 Jahren, welche Abu Dhabi im Blick auf seinen, Ende 2015 zu eröffenden Louvre auf den Kunstmärkten der Welt zusammenkauft.
Neue Einsichten
Kaum verwunderlich, dass sich gegen Prinzip und Praxis eines solch monumentalen Unterfangens Kritik rührt. Diese wird in Frankreich noch dadurch verschärft, dass tatsächlich ab 2016 einige der grössten Werke abendländischer Kunst in den grossen französischen Museen - nicht gerade die Mona Lisa, aber einige grosse Namen gleich dahinter - für jeweils zehn Jahre vom Ufer der Seine in die Wüste der arabischen Halbinsel zügeln werden.
Indes ist diesem in jüngerer Vergangenheit wohl einzigartigen Versuch, grosse Kunst an einem Ort öffentlich zu zeigen, wo solche kaum je geschaffen und bislang auch nicht gezeigt worden ist, viel Glück zu wünschen. Einmal weil, was noch auf dem Kunstmarkt feilgeboten wird, so nicht dank unendlich vielem Geld hinter privaten Mauern verschwindet. Weiter illustriert auch diese, wie beschrieben noch durchaus unfertige Ausstellung, dass Kunstwerke aus ganz verschiedenen Kulturen in der direkten Konfrontation neue Ein- und damit Ansichten erlauben.
Gegen den Zeitgeist
Hoch anzurechnen ist den ja einem durchaus strengen Islam angehörenden Emirati, dass sie ihre Sammlung mit wenigen der Tabus belasten, welche den Dialog zwischen dem konservativen Islam und dem Rest der Welt so schwierig machen. Da finden sich reizvolle indische Darstellungen leicht bekleideter Maiden aus dem 18. Jahrhundert und da grüsst auch ein keckes nacktes Rokokkobrüstchen von einer französischen Leinwand. Ein plumpes, nacktes Jesuskind auf dem Knie einer Madonna von Bellini fehlt ebenso wenig. Wer glaubt, dies sei doch selbstverständlich, hat noch nie ein Primarschulbuch aus einem Emirat am Golf in den Händen gehalten.
Zwei ganz verschiedene Ausstellungen also; entgegen dem Zeitgeist zeigt jene aus der Schweiz religiöse Kunst, jene aus dem sittenstrengen Wüstenislam Kunst schlechthin, welche, wenn sie gut ist, ja immer Leben abbildet und Allgemeingültiges für alle Betrachter festhält.
Die Schweiz und die Welt
Zwei ganz verschiedene Ausstellungen weiter,aber beide zeigen, das Kunst aus der Begegnung, und der Erfahrung mit Ungewohntem entsteht. Zwei ganz verschiedene Ausstellungen schliesslich , aber mit einer einzigen bemerkenswerten Aussage. Die Welt ist grenzenlos und war es schon immer.
Die Schweiz gehört dieser Welt seit jeher, und auch heute an. Unser Land ist allenfalls ein Sonderfall, allerdings im umgekehrten Sinne als dies unsere, aktuell wieder eifernden Nationalkonservativen und Europhobiker vermeinen. Wenn etwas, war und bleibt die Schweiz noch offener, noch mehr Teil eines Ganzen als Andere.