Unter 38 Prozent: Die einst staatstragende CSU, die dem Freistaat Bayern über Jahrzehnte Wohlstand und wirtschaftlichen Aufschwung brachte, steht mit ihren unter 37,2 Prozent nun da wie der Kaiser ohne Kleider. Die Schuldigen hat man schon vor dem Urnengang gefunden: Es ist der egozentrische, profilsüchtige Horst Seehofer, der sich im Wahlkampf wenig souverän gab und nicht ertragen kann, dass ihm die Felle davonschwimmen. Das einzige, was ihm blieb, waren peinliche Rangeleien mit Angela Merkel und seinem Nachfolger Markus Söder. Doch auch dieser trägt Schuld am Debakel seiner Partei. Sein brüsker Schwenk nach Rechtsaussen und sein gescheiterter Versuch, die AfD rechts zu überholen, haben viele Christdemokraten erschreckt. Der Absturz der CSU könnte sogar als gutes Zeichen gewertet werden. Er zeigt, dass viele CSU-Wählerinnen und Wähler die rechtspopulistische Politik von Söder nicht goutieren.
Sowohl Seehofer als auch Söder haben viel Vertrauen verspielt und eine unglaubwürdige Hickhack-Politik geführt. Der Druck auf Seehofer, jetzt endgültig zurückzutreten, wird sicher zunehmen. Doch Angela Merkel kriegt dann ein Problem. Wer von der CSU wird Seehofer ersetzen? Es könnte alles nur noch schlimmer werden.
Söder wollte verhindern, dass die AfD der CSU Stimmen abgräbt. Das ist misslungen. In der CSU gab es schon immer eine sehr rechtsstehende Klientel – schon vor der AfD. Jetzt, da es die AfD gibt, fühlt sich dieser rechte Flügel bei der AfD gut aufgehoben. Die gut 10 Prozent der AfD sind auch deshalb beachtlich, weil die Partei tief zerstritten ist.
Natürlich hat auch die nicht immer glückliche Berliner Regierungspolitik nach Bayern ausgestrahlt. Die Grosse Koalition mit ihren Slalomläufen verliert in den Umfragen seit Monaten erheblich an Zustimmung; das wirkte sich auch auf Bayern aus.
Jetzt geht also auch in Bayern, wie in vielen Ländern, die Zeit der Volksparteien zu Ende. Die CSU steht allerdings mit ihren 37,2 Prozent immer noch besser da als die CDU mit ihren 26 Prozent im übrigen Deutschland.
Das Debakel der CSU verdeckt ein anderes Debakel. Die SPD, die stolze älteste Partei Deutschlands, ist mit knapp 10 Prozent zur Krümelpartei geworden. In Bayern war sie schon lange nicht mehr stark, doch ein Minus von knapp 11 Prozent kommt einer tiefgreifenden Erschütterung gleich. Die SPD sollte sich wohl gut überlegen, ob sie sich als Koalitionspartnerin noch mehr die Finger verbrennen will.
Jetzt geht das Gerangel um die Bildung einer Regierungskoalition in München los. Allein regieren wie bisher kann die CSU nicht mehr. Eine Koalition CSU/Grüne wird schwierig. Die CSU weiss, dass sie den Grünen, die sie lange Zeit verteufelte, schmerzhafte ideologische Konzessionen machen müsste. Söder sagte am Abend: „Unsere Positionen sind denkbar weit entfernt voneinander.“ Rein rechnerisch hätte eine CSU/Grüne-Koalition eine komfortable Mehrheit. Ein knappe Mehrheit hätte ein Bündnis zwischen CSU und Freien Wählern (FW). Möglich wäre auch eine Dreierallianz CSU/FW/FDP, sofern die FDP dann den Einzug ins Parlament definitiv schafft.
Sogar eine Viererkoalition unter Ausschluss der CSU und der AfD wäre rechnerisch möglich. Fest scheint einzig zu stehen, dass niemand mit der AfD ein Bündnis eingehen wird.
Der Schwächeanfall der CSU und der SPD hat auch ausser-bayerische Konsequenzen: zunächst für die Wahlen in Hessen, die in zwei Wochen anstehen – und dann für die Regierungspolitik in Berlin. Seehofer und Söder haben nicht nur der CSU schweren Schaden zugefügt, sondern auch der CDU, in der es schon länger rumort. Natürlich haben jetzt Untergangspropheten Konjunktur, die das Ende der Ära Angela Merkel voraussagen. Sie sei nicht mehr „so unbestritten“ wie einst, sagte CDU-Bundestagspräsident Schäuble am Sonntag. Es gehe jetzt auch „um das Ansehen der Kanzlerin“. Doch wer soll an ihre Stelle treten? Andere überzeugende Kräfte müssen erst noch gefunden werden. Merkel verfügt immer noch über viel Vertrauen. Regierungschefs vieler anderer Länder würden sich die Finger lecken, wenn sie über solch hohe Zustimmungswerte verfügten. Sicher ist allerdings: Frau Merkel geht unruhigen Zeiten entgegen.