Kein Tag ohne Auftritt. Alle wollen etwas von ihm. In Römer Souvenirläden werden wieder Berlusconi-Plastikfigürchen verkauft. Das Stück zu acht Euro. Der 81-Jährige wird umworben und ist glücklich wie eine Maus im Käseladen. „Die Maus im Käse“, witzelt denn auch Bruno Vespa, der bekannteste italienische Kommentator und TV-Moderator.
Seit 1994 dominiert Berlusconi die italienische Politik. Vier Mal war er Ministerpräsident. 3‘297 Tage hat er regiert. Er ist der erste italienische Vollblut-Populist der Nachkriegszeit. Viel hat er nicht zustande gebracht. Grosse Sprüche, viele Versprechen – und keine Taten. Dass es Italien heute nicht gut geht, ist zu einem Teil seine Schuld.
Kurzes Gedächtnis
Im Februar letzten Jahres ging es offenbar um Leben und Tod. Berlusconi musste sich einer vierstündigen Herzoperation unterziehen. Journalisten bereiteten schon lange Nachrufe vor. Dass er dann noch seinen Fussballclub AC Milan verkaufte, wurde als Zeichen gedeutet, dass es jetzt endgültig zu Ende geht. Doch seine Schwächeanfälle seien nur ein vorübergehendes Unwohlsein gewesen, hiess es später. Jetzt sagt sein Arzt, sein Patient sei „technisch gesehen unsterblich“.
Dass Berlusconi jetzt wieder wie ein Phönix aus der Asche steigt, zeigt, dass die Italiener ein kurzes Gedächtnis haben und dass sie Volksverführern gegenüber offen sind. Selbst seine vielen Prozesse und seine Frauen- und Mädchen-Geschichten können ihm nichts anhaben.
Tapfere Verwalter
Sein Comeback zeigt aber auch, dass nicht nur er nichts zustande gebracht hat – sondern seine Gegner auch nicht. Seine Nachfolger nach seinem Sturz im Jahr 2011 waren Schwächlinge – mit einer Ausnahme: Der Sozialdemokrat Matteo Renzi hatte immerhin Punch und einen Plan. Doch er wurde und wird von seinen eigenen Leuten abgeschossen – nicht nur, weil er arrogant ist, sondern auch, weil er „zu wenig links“ ist.
Renzis Nachfolger ist der jetzt regierende Sozialdemokrat Paolo Gentiloni, ein tapferer Verwalter ohne jede Vision. Ihm laufen immer mehr Leute davon. Wie lange seine Regierung noch durchhält, ist unklar. Spätestens im kommenden Frühjahr sollte es nationale Neuwahlen geben. Vielleicht finden sie schon vorher statt.
Die Partei wie das Hemd wechseln
Die Vorwahlzeit ist in Italien immer mehr die Zeit der Parteienwechsel. In kaum einem anderen Land wechseln Parlamentarier so oft die Partei wie ihr Hemd. Da werden Politiker für die Linke gewählt – und sie treten während der Legislatur einer Mitte- oder einer Rechtspartei bei – und umgekehrt. Dass dies Betrug an den Wählern ist, stört diese Abgeordneten wenig. Da haben sich Wählerinnen und Wähler für eine bestimmte Ideologie und politische Richtung entschieden und entsprechende Politiker gewählt. Und diese Politiker kämpfen dann im Parlament plötzlich für eine andere Ideologie und eine andere politische Richtung.
Der Grund für diese häufigen Parteienwechsel ist simpel. Die Politiker wollen vor den Wahlen einer Partei angehören, die Aussicht auf Erfolg hat. Ihr erstes Ziel ist es also, nicht dieser oder jener politischen Richtung zum Durchbruch zu verhelfen: ihr erstes Ziel ist es, wieder gewählt zu werden. So können sie weiter die fürstlichen italienischen Diäten als Parlamentarier kassieren. Das Schicksal des Landes ist vielen Parlamentariern egal, wichtig ist ihr eigenes Schicksal.
Zerstrittene Linke
Jetzt, da die Linke wieder einmal zerstritten ist und die Regierung Gentiloni schwächelt, versuchen viele, die einst Renzi treu waren, den Absprung. Das Renzi-Lager, dem noch vor wenigen Wochen gute Chancen für einen Sieg bei den bevorstehenden Wahlen eingeräumt wurden, zerbröckelt. Renzi kämpft im Moment ums politische Überleben.
Innerhalb der Renzi-Partei haben sich selbstständig auftretende Parlamentariergruppen gebildet, so das „Campo Progressista“ von Giuliano Pisapia, dem einstigen Bürgermeister von Mailand. Oder Pier Luigi Bersanis „Movimento Democratico e Progressista“ (Mdp). Bersani, ein langweiliger Apparatschik und früherer Parteisekretär der Sozialdemokraten, hat Renzi seit langem den Krieg erklärt. Und da ist auch noch die in diesem Februar gegründete „Sinistra Italia“ (SI) und der wieder auferstandene „Partito Socialista Italiana“.
Im Renzi-Lager liegen die Nerven blank. Selbst die Abeordnete Elisa Simoni, eine Cousine von Renzi, hat ins Bersani-Lager gewechselt. Und als Giuliano Pisapia jetzt die Renzi-treue Staatssekretärin Maria Elena Boschi öffentlich umarmte, fürchtete man schon einen Absprung dieser wichtigen Renzi-Ikone.
„Ich empfange keine Verräter“
Von der Zerstrittenheit der Linken profitiert die Rechte, der es in den letzten Jahren nicht gelungen ist, eine profilierte Figur aufzubauen. Berlusconi hat alle möglichen Emporkömmlinge erstickt – und jetzt ist er mit seinen bald 81 Jahren wieder da. Schon erklärt er, dass er bei Neuwahlen 40 Prozent der Stimmen und damit die Regierungsverantwortung erhalten würde. Heute käme er allerdings laut Umfragen erst auf 13,5 Prozent.
Zwar sagte er bei einem Fernsehauftritt, nicht alle seien in seiner Bewegung willkommen. Er wolle keine Leute, die für die Linke gekämpft hätten. „Ich empfange keine Verräter.“ Aber natürlich freut er sich über alle, die bei ihm anklopfen.
5-Prozent-Hürde?
Angeklopft und mit offenen Armen empfangen wurde jetzt Enrico Costa, Minister ohne Portefeuille in der Regierung Gentiloni. Er hat Angelino Alfanos Zentrumspartei AP verlassen und ist Berlusconis Forza Italia beigetreten. Wenige Tage später kehrte auch der AP-Zentrist Massimo Cassano, stellvertretender Sekretär im Arbeitsministerium, in Berlusconis Schoss zurück.
Der „Kaiman“, wie Filmregisseur Nanni Moretti Berlusconi nannte, profitiert auch von einem neuen Wahlgesetz, das vielleicht endlich einmal verabschiedet wird. Dieses sieht zum ersten Mal, nach deutschem Muster, eine 5-Prozent-Hürde vor. Viele kleine Mitte- und Rechtsparteien fürchten deshalb um ihr Überleben – und werfen sich Berlusconi als Koalitionspartner in die Arme. So wahrscheinlich die postfaschistischen „Fratelli d’Italia“ (mit einem Wähleranteil von 2 bis 3,7 Prozent), die Zentrumsparteien Udc von Lorenzo Cesa, die „Centristi per l’Europa“ von Enrico Zanetti und die „Civici e innovatori“. Ferner die „Direzione Italia“ von Raffaele Fitto, die „Ala“ von Denis Verdini, die „Rivoluzione cristiana“ von Gianfranco Rotondi – und andere.
Und vor allem die „Alternativa Populare“ (AP) von Angelino Alfano. Er war einst der Ziehsohn Berlusconis und für seine Nachfolge erkoren. Doch dann bestimmte Berlusconi sich selbst als seinen Nachfolger und eliminierte Alfano. Der gründete daraufhin eine eigene Zentrumspartei. Doch die AP kam nie über 4 Prozent hinweg und muss sich jetzt – wohl oder übel – wieder Berlusconi anbiedern.
Nichts ändert sich
Dass „die Maus im Käse“ wieder die italienische Politik dominieren könnte, ist für viele ein Horror-Szenario. Es zeigt, dass sich in Italien nichts ändert. Dass es der italienischen Wirtschaft im Moment ein kleines bisschen besser geht (prognostiziertes Wachstum 1,3 Prozent) bedeutet nicht, dass das Land über den Berg kommt. Im Gegenteil: die Aussichten sind düster. Italien bräuchte tiefgreifende unpopuläre Reformen.
Doch um das Volk nicht zu erschrecken und ihm keine allzu grossen Opfer abzuverlangen, haben Populisten noch nie dringend nötige, aber schmerzhafte und einschneidende Neuerungen durchgesetzt.
Der Populist Berlusconi hat es zwanzig Jahre lang nicht getan. Es ist nicht zu erwarten, dass er es jetzt tut.