Im nicht nur wettermässig instabilen Sommer 2014 häufen sich internationale Krisen. In Europas Nachbarschaft spielt Russland Brandstifter im Osten und aus dem Süden droht eine afrikanische Hydra mit ihren drei Köpfen unkontrollierte Immigration, Seuchen und islamischer Radikalislamismus. Ein grosser Teil des Mittleren Osten steckt entweder in offenen (Syrien/Irak; Israel/Palästina) oder latenten (Libyen, Ägypten, Libanon) Krisen.
Von Europa aus gesehen etwas im Schatten dieser hell lodernden, und Europa direkt betreffenden Krisenherde, versteift sich im Grossraum Asien-Pazifik die Gegnerschaft zwischen China und Japan, was in der sprichwörtlichen Zukunftsregion der Welt für Unruhe sorgt.
Aus westlicher Perspektive
Internationale Stabilität ist, zumindest rethorisch das Ziel fast aller Staaten. Nur sie macht nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und damit die Verbesserung der Lebensbedingungen eines immer grösseren Teils der Weltbevölkerung möglich. Erhaltung und Förderung internationaler Stabilität gehört in die Verantwortung von Grossmächten, als Einzelakteure oder gemeinsam mit Gleichgesinnten, und von mittleren und kleineren Staaten im Verbund wie beispielsweise der EU.
Ein kurzer Blick auf die Reaktion der Weltgemeinschaft angesichts aktueller Krisenherde zeigt ein klares Bild. Ausser dem Westen im alten, engeren Sinn ist kaum ein Land in der Krisenbekämpfung tätig oder auch nur daran interessiert. Im Gegenteil. Putin zündelt in gefährlicher Nähe eines der grossen erfolgreichen Friedensprojekte der Geschichte: Ein militärisch konfliktfreies, demokratisches und prosperierendes Europa vom Atlantik bis zum Ural.
Die Rolle der BRICS-Staaten
China macht zwar erste Anstrengungen, in Afrika nicht mehr nur im Sinne unmittelbarer Eigenintressen tätig zu sein, setzt aber im Grossraum Asien-Pazifik immer klarer auf einen Konfrontationskurs mit Japan, wohl auch um die bisherige pazifische Führungsmacht USA zu einer Stellungnahme zu zwingen.
Die drei übrigen BRICS sind fast völlig damit absorbiert, ihr eigenes Haus in Ordnung zu halten. Es gibt Ausnahmen von dieser Regel, mitunter im negative Sinn: Indien hat eben und einmal mehr die WTO (Welthandelsorganisation) blockiert. Brasilien und Lateinamerika generell treten an die Stelle der von Putin boykottierten europäischen Lebensmittellieferanten. Südafrika ist weder willens noch fähig, eine wirkliche Führungsrolle in und für Afrika zu übernehmen.
Nichtwestliche, regionale Zusammenschlüsse verstehen sich , mit wenigen Ausnahmen wie der ASEAN (Südostasien) und spezialisierten Wirtschaftsorganisationen in Südamerika, als primär antiwestliche und antiamerikanische Vereinigungen. Das gilt sowohl für die von Russland gegen die Nato, als auch die von China gegen westliche Dominanz inspirierten Organisationen, wie etwa die vor kurzem gegründete BRICS-Bank.
Uno - in Krisenfällen häufig blockiert
Die Uno als die einzige wirklich globale Organisation ist zwar unverzichtbar, in der unmittelbaren Krisenbewältigung aber nur teilweise einsetzbar. Sie bleibt blockiert, wenn direkte (Ukraine; Inselstreitigkeiten im chinesischen Meer) oder indirekte (Syrien; Israel/Palästina) Intressen von ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrates involviert sind. Dies relativiert übrigens auch die gerade in, und von der Schweiz gern gebrauchte Formel, nur an von der Uno verhängten Zwangsmassnahmen teilnehmen zu wollen. Das mag zwar traditionell völkerrechtlich gut tönen, ist aber im Kontext unmittelbarer Krisendämpfung oft irrelevant oder – schlimmer - eine faule Ausrede.
In der internationalen Krisenbekämpfung seit dem 2. Weltkrieg haben die USA während rund 50 Jahren eine überragende Hauptrolle gespielt. Dies ist für die absehbare Zukunft vorbei, da die amerikanische Kraft und Neigung zur internationalen Intervention geringer, und politische Instabilitätsfaktoren im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung stärker geworden sind .
Neue Arbeitsteilung
Ohne dass eine eigentliche Verhandlung darüber stattgefunden hätte, schält sich im Moment eine gewisse Arbeitsteilung unter den westlichen Staaten heraus. Kurz zusammengefasst hat Frankreich die Führung zur Krisendämpfung in Afrika und Deutschland für die Ukrainekrise, und allgemein Europa übernommen. Im Mittleren Osten und speziell in Asien-Pazifik sind weiterhin dieUSA tonangebend.
Wie erwähnt forciert dort China den bilateralen Konflikt mit Japan. Beijing glaubt offensichtlich, dass Washington seine wirtschaftlichen und geostrategischen Intressen an einem konfliktfreien Verhältnis zur zweitgrössten Macht der Welt stärker gewichten werde als die historischen Bande zu Japan, womit Tokio letztlich zum Satrapen des Reichs der Mitte gemacht werden könnte.
Unverändert bleibt, dass amerikanische Militärmacht weiterhin und global zur Krisenbekämpfung unverzichtbar ist. Sei dies direkt wie im Moment im Irak gegen die vereinigten Mörderbanden des ‘Islamistischen Staates’ (IS) und der ehemaligen Saddam-Schergen. Oder zumindest für Aufklärung und Logistik wie im Kampf gegen islamistischen Terrorismus in Afrika.
Frankreichs Engagement in Afrika
Dort spielt Frankreich eine militärisch zentrale und unverzichtbare Rolle. Im Rahmen der seit Juli 2014 laufenden Operation Barkhane sind 3000 französische Truppen mit schwerem Gerät und 40 Flugzeugen permanent in der Sahelzone stationiert, um jederzeit gegen die Geissel des Islamterrorismus vorgehen zu können. Die fünf Sahel-Staaten Mauretanien, Mali, Tschad, Burkina Faso und Niger gehören zu den ärmsten Ländern der Welt und vermögen, wie sich letztmals in Mali gezeigt hat, den aus dem Golf finanzierten, und teilweise von ehemaligen Ghadhafi-Schergen geführten Islamisten nicht aus eigener Kraft standzuhalten.
Dasselbe gilt auch für Nigeria und Kamerun, wo in den letzten Monaten der Extremislam von Boko Haram auch infolge von lokaler Korruption und allgemeiner Misswirtschaft viel stärker und damit auch international gefährlicher geworden sind. Dort wird wohl früher oder später Grossbritannien, als ehemalige Kolonial- und zweite Militärmacht Europas eingreifen müssen, da offensichtlich noch nicht einmal die nigerianische Armee, die sich gerne als wichtigste Streitkraft Afrikas sieht, Boko Haram Herr wird.
Destabilisierende Folgen für Europa
Ein militanter und hochgerüsteter Islamismus ist ja nicht nur für die betroffenen afrikanischen Länder und ihre Bevölkerung verheerend. Dieser hat auch direkte Auswirkungen auf Europa. Dies nicht zuletzt durch die Zunahme weiterer Flüchtlingsströme, die sich via Maghreb Richtung Europa ergiessen. Oder durch die Ausbreitung von Seuchen wie Ebola, die sich als immun gegen eine internationale Bekämpfung erweisen könnten.
Europa schliesst in dieser ‘afrikanischen’ Hinsicht natürlich auch die Schweiz ein. Bislang hat sich unser Land primär dadurch ausgezeichnet, Herkunftsland unvorsichtiger gekidnappter Touristen zu sein. Diese mussten dann - so zumindest der wohl gut dokumentierte internationale Vorwurf - durch letztlich doch staatliches Lösegeld losgekauft warden.. Noch weniger wird bei uns darüber gesprochen, dass auch humanitäre Hilfe - ein viel zitiertes Paradebeispiel für die Wahrnehmung schweizerischer Verantwortung auf internationaler Ebene - mitunter auf handfeste militärische Unterstützung westlicher Länder angewiesen ist. Entsprechende Beispiele bestehen, eingeschlossen solche die das IKRK betrafen.
Deutschland und die Ukraine-Krise
Im Rahmen eines langen internen Prozesses gelangt im Moment Deutschland zur Überzeugung, dass eine seinem wirtschaftlichen Gewicht entsprechende Rolle in der internationalen Politik nicht mehr länger zu umgehen ist. Stark beschleunigt hat sich dieser Prozess durch die Ukraine-Krise. Berlin ist hier zum Mass aller Dinge geworden. Seit Deutschland nach dem verbrecherischen Abschuss eines zivilen Passagierflugzeuges durch wahrscheinlich russisch unterstützte Separatisten auf klaren Sanktionskurs umgeschwenkt ist, scheint Putin Deutsch besser zu verstehen.
Wenn überhaupt, dann ist es also Angela Merkel , sei es auf russisch oder deutsch, welche Putin bewegen kann, seinen gefährlichen Nationalrevisionismus zugunsten von wirtschaftlicher und politischer Vernunft zurückzustellen. Falls es hier zu einer halbwegs - das völkerrechtliche Unrecht der russischen Krim-Annexion bleibt wohl bestehen - glücklichen Lösung kommt, wird ihre und die deutsche Führungsrolle für mehr sicherheitspolitische Emanzipation von Europa gestärkt werden.
Überflüssige Vermittlerrolle der Schweiz?
Dies hat eine kurz- und eine längerfristige Konsequenz für die Schweiz. Was die Ukraine anbelangt, so gefällt sich die offizielle Schweiz bekanntlich in der Rolle eines potentiellen ‘neutralen Vermittlers’. Von einem solchen kann zwar verlangt werden, dass anderswo getroffene Massnahmen nicht umgangen werden. Der Vermittler selbst hält sich aber fern von praktisch gesamteuropäischen Boykotten gegen Russland, um unparteiisch zu bleiben. So lautet zumindest die gegenwärtige schweizerische Litanei.
Sie krankt indes an einem Kardinalproblem. Ausserhalb der Schweiz verlangt oder braucht niemand einen solchen Vermittler. Die OSZE, wenn sie nicht von Russland blockiert wird, kann im besten Fall Mittel (Beobachter etc) zur Umsetzung einer Kompromisslösung sein, deren Basis aber ausserhalb - in diesem Falle eben zwischen Putin und Merkel - gefunden worden ist. Dazu braucht es weder einen neutralen, noch einen OSZE-präsidialen Vermittler.
Längerfristig wird sich die Schweiz Gedanken darüber machen müssen, wie sie als wohlhabendes, von internationaler Stabilität sehr eindeutig profitierendes Land mehr zur sicherheitspolitischen Absicherung dieser Stabilität beitragen kann. Eine solche Rolle beginnt nicht am Gotthard, sondern im, primär europäischen, Verbund Gleichgesinnter in ähnlicher Position.