Jetzt richten sich die Augen auf den Ministerpräsidenten. Wenn er gescheit handelt, kann viel gewonnen werden. Doch es ist fraglich, ob er gescheit handelt.
Natürlich darf er es als Ministerpräsident nicht zulassen, dass eine Region einfach ausschert. Doch ob er bei seiner fast hemmungslosen Reaktion nicht übertrieben hat, ist eine andere Frage. Nach der ersten Halbzeit des Spiels liegt Rajoy in Führung. Er hat die fanatischen Katalanen in ihrer gnadenlosen Naivität platt gelegt. Doch jetzt beginnt die zweite Halbzeit. Und die beginnt unter ungünstigen Vorzeichen. Rajoys Aufgabe wäre es, das Land zu versöhnen. Dass er ausgerechnet seine Vizepräsidentin, Soraya Sáenz de Santa María, eine geifernde Hardlinerin, als Sachverwalterin für Katalonien einsetzte, zeugt nicht von Fingerspitzengefühl. Wird Rajoy die Grösse haben, auf einen milderen Modus umzuschalten? Wird er die Anliegen der Katalanen endlich ernst nehmen? Kann er dies, ohne dass sie unabhängig werden? Wird er sich endlich zu ein paar versöhnlichen Wort aufraffen?
Noch sieht es nicht danach aus. Bisher spürt man nur Rachegelüste. Er lehnt jede Vermittlung ab. Viel wird davon abhängen, wie er mit Puigdemont und Co. umgeht. Rajoy ist mancherorts, nicht nur in Katalonien, eine Hassfigur. Manche Katalanen hatten für die Unabhängigkeit gestimmt, nicht, weil sie für die Unabhängigkeit sind, sondern weil sie Rajoy mit seiner teils erzkonservativen Haltung eins auswischen wollten. Jetzt hat sich der Ministerpräsident mit seinem kompromisslosen, sturen Vorgehen in ein Dilemma hinein verrannt. Zeigt er sich plötzlich versöhnlich, verliert er sein Gesicht. Bleibt er jedoch arrogant und energisch, gibt er den Sezessionisten neuen Auftrieb. Das könnte sich im Ergebnis der Wahlen vom 21. Dezember ausdrücken. Rajoy ist auch im eigenen Lager nicht unumstritten. Vielleicht ist er nicht der Mann, der solchen Konflikten gewachsen ist.