Es ist Sonntag, früher Abend. Die Wahl oder die Abstimmung ist vorbei. Das Ergebnis steht fast schon fest. Schon stürzen sich die Journalisten auf die Sieger und Verlierer. Dann folgt die Elefantenrunde mit den Spitzenpolitikern im Fernsehstudio.
Die Sieger haben es einfach. Die dreschen die üblichen Plattitüden. „Das Ergebnis zeigt, dass das Volk unsere Politik unterstützt.“ Oder: „Wir haben die Bestätigung erhalten, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“ Oder: „Das Volk hat der populistischen Politik unserer Gegner die rote Karte gezeigt.“ Oder: „Wir danken für das Vertrauen, das uns Bürgerinnen und Bürger entgegengebracht haben.“ Oder: „Wir waren von Anfang an überzeugt, dass unsere Politik die richtige ist.“ Und so weiter. Blabla.
Was aber sagen Verlierer?
Am liebsten würden sie sagen: „Das Volk ist eben dumm und hat nicht gemerkt, wie wunderbar wir sind.“ Oder: „Das Volk liess sich von diesen einfältigen Populisten verführen.“ Nur: Solche Erklärungen kommen nicht gut an. Wer den siegreichen Gegner angreift, wird zum „schlechten Verlierer“ degradiert. Man muss subtiler vorgehen.
Also, was sagt man? Die Sieger der Wahlen warten mit Häme auf die ersten Worte der Verlierer. Wie werden sie sich herausreden?
Natürlich könnten die Verlierer sagen, der Gegner habe eben über mehr finanzielle Mittel für den Wahlkampf verfügt. Oder sie könnten wieder das böse linke Fernsehen attackieren, das die Bevölkerung einseitig informiert. Doch das wirkt alles hilflos und abgegriffen. Es gibt Besseres.
Seit einiger Zeit floriert ein Zauberwort. Angela Merkel sagte es, nachdem sie bei der Bundestagswahl gerupft worden war. Horst Seehofer sagte es, nachdem seine CSU mit einem Verlust von über zehn Prozent ein Debakel erlitten hatte. Nicolas Sarkozy sagte es nach der verlorenen Primärwahl. David Cameron verwendete es nach der Brexit-Abstimmung.
Das Zauberwort heisst: „analysieren“. Da stehen Merkel und Co. vor den Kameras und sagen mit gefasster Mine. „Wir werden das Ergebnis jetzt gründlich analysieren.“ Manchmal fügen sie bei: „Wir werden an einer Klausurtagung darüber diskutieren und Schlüsse daraus ziehen.“
„Analysieren“ – ein cleverer rhetorischer Trick. Man schiebt damit eine klare Stellungnahme hinaus. Man drückt sich davor, etwas Selbstkritisches zu sagen und Fehler einzugestehen. Man gewinnt Zeit – und macht die Journalisten mundtot.
Wenn nämlich die Medienleute dann nachfragen: „Aber welches sind die Gründe für ihre Niederlage?“ sagen die Verlierer cool: „Lassen sie uns doch jetzt zuerst das Ergebnis analysieren. Wir müssen jetzt in die Zukunft schauen.“ Damit wird jede zusätzliche Journalistenfrage abgewürgt. Und damit hat man, nichtssagend, etwas gesagt - und das Gesicht dabei nicht verloren.
Meistens findet die Analyse ja dann gar nicht statt. Und die Klausurtagung schon gar nicht.