Das Zentrum von Ravenna hat die längste Nacht fast unversehrt überstanden – dies dank einem nie dagewesenen Einsatz von Tausenden teils freiwilliger Helfer und Helferinnen. Selbst Kinder schaufelten Schlamm weg, errichteten Dämme, schöpften Wasser und bedienten Pumpen.
Aus ganz Italien eilten Helferinnen und Helfer herbei. Ravenna, die 150'000 Menschen zählende Stadt nahe der Adria, hatte am Wochenende die grosse Flut erwartet. Die Behörden hatten die Alarmstufe rot ausgerufen. Der Bürgermeister von Ravenna sagte: «Es ist der schlimmste Tag. Wir wissen nicht, ob wir das Wasser aufhalten können.» Offenbar konnte dank einem riesigen Einsatz von Helferinnen und Helfern das Schlimmste vorerst vermieden werden.
Doch die Gefahr ist nicht vorbei. Die Flüsse und Kanäle schwellen weiter an. In einem Vorort der Stadt schwimmt in den überfluteten Strassen Hausrat, sogar Sofas und Tische.
Siehe auch Artikel vom Samstag «Es ist der schlimmste Tag»
Inzwischen traf auch die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni im Katastrophengebiet ein. Sie hatte den G7-Gipfel in Hiroshima vorzeitig verlassen und landete am Mittag in Rimini.
Ravenna ist zur Zeit eingeschlossen von Wasserlachen. Mehr als 37’000 Menschen wurden bisher evakuiert. Andere sind in den oberen Wohnungen ihrer Häuser blockiert. An einzelnen Orten reicht das Wasser bis ins dritte Stockwerk.
Katastrophengebiet
Die Behörden hatten die Bevölkerung aufgefordert, sich bereit zu machen, um auf die Dächer zu flüchten.
Ein grosser Teil der Romagna ist Katastrophengebiet. 100’000 Quadratkilometer wurden überschwemmt. Vor den Toren der Stadt wird versucht, die gebrochenen Dämme mit Sandsackmauern zu ersetzen. Hunderte Dörfer und Weiler rund um Ravenna sind von der Aussenwelt abgeschnitten.
Der Wendepunkt
Am Samstagmorgen hatte der Hochwasserpegel vor der Stadt den Höchststand erreicht. Er lag neun Zentimeter über dem Niveau des Stadtzentrums. Doch dann kam die Wende, dann sank der Pegel bis zum Mittag um zehn Zentimeter. Auf Anordnung der Behörden wurde das Hochwasser auf 500 Hektar Weizen-, Mais und Luzernenfelder abgeleitet, damit es nicht in die Stadt eindringt. Für die Bauern bedeutet dies die Vernichtung der Ernte und einen riesigen Verlust.
Am Sonntag hat der Regen aufgehört. Hunderte Dämme sind zwischen der Adriaküste und dem Hinterland bei Faenza und Forlì gebrochen. Überall sind Strassen durch Erdrutsche unterbrochen worden. Dutzende Dörfer und Weiler sind überflutet und ohne Strom, Wasser und Gas.
So paradox es klingt: Die Sonne, die laut Meteorologen bald wieder scheinen wird, ist alles andere als erwünscht. Sie wird nämlich den Schlamm austrocknen und zu einer undurchlässigen Kruste verfestigen, die hart wie Zement ist und weite Teile der Felder erstickt.