Eulogien allüberall nach dem Hinschied des Staatsgründers von Singapur, Lee Kuan Yew(LKY) im 91. Altersjahr. Sie konzentrierten sich auf die wahrhaft einzigartige Leistung, die ehemalige koloniale Opiumhölle, gleichzeitig tropisches Regenwald-Kaff Singapur über 70 Jahre hinweg in ein Schaufenster asiatischer Schaffenskraft und Zukunftsglaube verwandelt zu haben. Speziell erwähnt wurden die Absenz von Korruption und das Prinzip Meritokratie in Singapur. Einige der Nachrufe erwähnten immerhin die in Asien allgemein und in Singapur speziell sich schnell öffnenden Schere zwischen Arm und Reich.
Autoritäre Staatsführung
Dies soll hier aus jahrelanger direkter Erfahrung etwas vertieft werden und auch von spezifischen Punkten, sowohl positiver wie auch negativer Prägung die Rede sein. Alle sind typisch für die autoritäre Staatsführung in Singapur, einige sind auf kontinentweiter Basis auch anderenorts offensichtlich.
Zu letzteren gehört einmal der bisherige Unwille der Lees, das sonst in Singapur gültige Prinzip der Meritokratie strikt und sichtbar auch auf die eigene Familie anzuwenden. Der Staat blieb, auch nach dem Rückzug von LKY aus der Tagespolitik, von seiner Familie beherrscht. Der älteste Sohn ist Premierminister, dessen Frau war lange Chefin des zentralen Staatsunternehmens Temasek, und es bleibt offen, ob ein Vertreter der dritten Generation nicht doch auch auf höchste Staatsämter und Machtpositionen vorbereitet wird.
Lukrative Regierungszeit
Als gesichert darf weiter die Tatsache gelten, dass die Grossfamilie von LKY über seine Regierungszeit hinweg reich geworden ist. Dies gilt zumindest für den Beginn via die Advokatur Lee&Lee, welche nach dem Einstieg in die Politik von LKY von seiner Frau, auch dank bedeutender Staatsaufträge, lukrativ weitergeführt worden ist. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass hier potentieller Sprengstoff liegt, wenn einmal der Heiligenschein des ‘Alten’ verblasst.
In den eingangs erwähnten Eulogien wird darauf hingewiesen, dass LKY es verstanden habe, die regionalen Firmensitze von grossen internationalen Konzernen in den kleinen Stadtstaat von der Grösse des Kantons Thurgau zu locken. Dies trotz grösster Konkurrenz von Städten, welche ebenso modern aber näher an grossen Märkten liegen. Das Geheimnis dahinter war und bleibt die physische Infrastruktur und exzellente, nicht ideologisch gegängelte Erziehung und Ausbildung. Dies wird indes heute auch anderenorts in Asien offeriert.
Englisch als neue Muttersprache
Der Geniestreich LKY’s war es, mit der Gründung des Staates auch gleich Englisch als gemeinsame Muttersprache aller Singapuraner zu dekreditieren. Dies erleichert einmal allen Zugezogenen Ansiedlung, Kontakt und Integration. Gleichzeitig lässt es keinerlei Separatismus der drei grossen - chinesisch ,malayisch und Hindi - und zahlreichen kleinen Sprachgruppen zu.
Separatismus und Minderheitenprobleme im Allgemeinen wurden von LKY von allem Anbeginn durch aktives ‘social engineering’ bekämpft, bis hin zur nach Sprach- und ethnischen Kriterien gemischten Zuteilung von Sozialwohnungen im selben Appartmentblock.
Intoleranz und Pragmatismus
Andere Minderheiten wurden von ihm und und ‘seinem’ Staat indes ungleich schlechter behandelt. Politische Andersdenkende wurden zunächst mit tiefen Griffen in die demokratische Trickkiste ausgegrenzt. Versteifte sich der Widerstand, wurden diese ‘Widersacher’ mit finanziell ruinösen Zivilklagen überzogen und/oder der sozialen Lächerlichkeit preisgegeben und/oder kurzerhand für eine Weile ins Gefängnis gesteckt. Speziell verletzliche Gesellschaftsgruppen, so etwa Lesben/Schwule, wurden noch sehr lange strafrechtlich verfolgt und gesellschaftlich an den Rand gedrängt.
Aber sogar mit Bezug auf diese Bereiche zeigte sich ein weiterer Grund, warum LKY’s Singapur eine Erfolgsgeschichte wurde. ‘Der Alte’ war nämlich auch Pragmatiker und genügend Realist, um nicht gegen gesellschaftspolitische Windmühlen zu kämpfen. So war der gesamte Kulturbereich, und insbesondere das Gegenwartstheater ein traditioneller Rückzugs- und Schonbereich für gleichgeschlechtliche Künstler. Und wohl auch darum lebendig, chaotisch und immer, wenn auch subtil, hochpolitisch.
Vorbildliche Stadtentwicklung
Als vor rund 20 Jahren den Verantwortlichen die Erkenntnis dämmerte, dass zu einer Weltmetropole auch Kultur gehört, und dass allein der Bau von Spielstätten und Museen dazu nicht ausreichte, wurden vorher enge Toleranzgrenzen langsam weiter gezogen. Dieser Prozess hält indes noch an; allgemein hat der Übergang in eine modern Zivilgesellschaft in Singapur zwar begonnen, ist aber noch keineswegs abgeschlossen.
Eindrücklich und für Asien bahnbrechend schliesslich der ungebrochene Glaube in Singapur, dass zumindest Teile der Zukunft plan- und damit berechenbar sind. Dessen Stadtentwicklung ist ein Musterbeispiel dafür. Wohnverdichtung in möglichst vorteilhaften Rahmen gleichzeitig für den Einzelnen und die Gesellschaft wird in Singapur seit Jahrzehnten betrieben. Städtische Begrünung horizontal (Parkflächen, geschützte Naturgebiete, künstlich wieder hergestellte Biotope) und vertikal ( Gärten an Wolkenkratzern und mehrstöckig angelegt) sind für den flächenmässigen Ministaat eine Selbstverständlichkeit.
Singapur war immer, und wird es bleiben, eine Mischung von Sonderfall und panasiatischem Biotop. Mit dem Abtreten der übermächtigen Gestalt des ‘Pater Patriae’ erhält das Land auch eine Chance, sich politisch und gesellschaftlich weiter zu entwickeln im Sinne einer modernen, durch und durch asiatischen aber freien Bürgergesellschaft. Dies im grossen Gegensatz zu anderen, ungleich grösseren Länder Asiens. Falls dies gelingt, bliebe eine wirklich dauernde Hinterlassenschaft von Lee Kuan Yew.