An gewissen Sanktionen gegen Russland - genauer gegen Einzelpersonen aus dem direkten Umkreis und Einflussbereich von Putin - beteiligt sich die Schweiz. Weil sie nicht anders kann. Dies gilt für jene Russen, welchen alle EU-Mitglieder kein Schengen-Visa mehr erteilen. Es wäre technisch unmöglich und moralisch undenkbar, dass für diese die Schweiz eine Ausnahme macht.
Es ist wohl davon auszugehen, dass darunter auch jene fallen, welche - zum Beispiel als Investoren mit erheblichen Mitteln - über eine länger dauernde Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz verfügen. Wie dies für die zwei prominenten von der EU boykottierten Russen Gennady Timchenko und Andrei Klischas zutrifft oder zutraf.
Der erste ist Gründer des in Genf domizilierten Ölhändlers Gunvor, dessen Mehrheitsanteil einen Tag vor dem ersten Boykotterlass von Timchenko ‘verkauft’ worden ist. Der zweite war als CEO des weltgrössten Nickelproduzenten Norilsk Nickel via seinen Zürcher Anwalt in eine vermutete Geldwäschereiaffäre verwickelt.
Gute Dienste im Interesse der Weltgemeinschaft?
Beide wohl keine friedensstifdenden Engel mit welchen die Schweiz als Vermittlerin im gegenwärtigen Ukrainekrieg in Verbindung stehen müsste. Mögliche Vermittlung ist nämlich der einzige Grund, welcher von jenen in der Schweiz ins Felde geführt werden, welche die US- und EU-Sanktionen “nicht eins-zu-eins mitmachen” wollen. Die Schweiz ist das einzige Land im Westen, das nicht voll mittut. Gutmeinende Boykottgegner weisen aber den Vorwurf zurück, es gehe der Schweiz mit ihrer Extrawurst einzig um Geschäftmacherei. Es gehe unserem Land vielmehr darum, gute Dienste im Interesse der Weltgemeinschaft zu leisten.
Diese Argumentation krankt indes mindestens an drei fatalen Fehlern. Erstens ist schweizerische Vermittlung im Ukrainekrieg überhaupt nicht gefragt. Vermitteln kann man nur, wenn zwei Streitparteien ohne Kontaktmöglichkeit einen Dritten als Verbindung wünschen. Dies ist hier aber keineswegs der Fall. Die Hauptprotagonisten sind durch zahlreiche bestehende Kanäle bestens vernetzt. Wenn im Moment keinerlei sichtbare Bewegung an der Vermittlungsfront auszumachen ist, dann weil primär eine Seite gar keine solche will.
OSZE - von Russland blockiert
Etwas anderes ist mögliche Beihilfe zur Streitdeeskalation durch die OSZE, deren Vorsitz im Moment die Schweiz innehat. Mit Bezug auf die Ukrainekrise, welche erst 2014 von Putin internationalisiert wurde, ist dies völlig zufällig, weil bereits viel vorher beschlossen. Die OSZE und ihr Präsident werden allenfalls kraft ihres Auftrages und ihres Amtes tätig werden - und nicht weil ein Schweizer das Präsidium innehat. Wäre dies ein Litauer, würde sich nichts ändern. Im Moment deutet zudem wenig darauf hin, dass die OSZE nützlich tätig sein kann. Sie wird wegen des Konsensprizips von Russland blockiert.
Zweitens ist es mit dem neutralen Vermittler so eine Sache. Das IKRK ist neutral und muss es sein, um überhaupt tätig sein zu können. Die Schweiz als Staat aber keineswegs. Jedenfalls nicht neutral im Sinne einer moralischen Mittelposition, bei der man beiden Seiten etwas gibt, um von beiden akzeptiert zu werden.
Angesichts der illegalen russischen Annektion der Krim und angesichts der bewaffneter Aggression in der Ostukraine und, zumindest, passiver Mithilfe bei der Ermordung unschuldiger Passagiere eines Zivilflugzeuges, kann ja wohl der Rechtstaat Schweiz nur auf einer Seite stehen, der westlichen nämlich.
Die Russen essen jetzt Schweizer Emmentaler
Schliesslich wirkt sich auch eine nur teilweise Boykottabstinenz, ungeachtet aller hehren Beweggründe hierzulande, de facto eben doch als kurzfristige Intressenpolitik aus und wird im Ausland auch so empfunden. So demonstrierten die schweizerischen Käseproduzenten beispielsweise mit einem Jubelschrei in den Medien ihre Zufriedenheit. Die Russen essen jetzt eben schweizerischen Emmentaler und nicht mehr wie früher baltischen.
Die Schweiz wurde bekanntlich von Russland für ihre teilweise Boykottabstinenz belohnt.
Russische Transaktionen bringen der Schweiz ein BIP-Prozent
Schwerer ins Gewicht als Käse fallen Öl und andere Rohstoffe, welche in Russland gefördert und in der Schweiz gehandelt werden, und deren Ertrag vom hiesigen Finanzplatz verwaltet und verschoben wird. Bereits heute sind gewisse russische Firmen, insbesondere Banken - und zwar Banken als solche, nicht nur einzelne ihrer Inhaber - auf der US- und EU-Boykottliste, nicht aber auf der schweizerischen.
Da braucht es noch nicht einmal raffinierte Umgehungsgeschäfte, denen zudem die schweizerischen Behörden, auch beim besten Willen immer etwas nachhinken. Ein volles Prozent des schweizerischen Bruttoinlandproduktes BIP ist bereits heute Resultat russischer Transaktionen in unserem Land, wie ein Papier der ETHZ zeigt.
Kritisiertes Abseitsstehen
Russische Trader und Banken sind im Moment vor allem noch in London und in den USA tätig. Sollte sich aber die Krise verschärfen und sollte der Westen die Boykottschraube weiter anziehen werden sie mehr und mehr ins westliche Visier geraten. Dann werden schweizerische Ausnahmen sehr schnell unmöglich werden. Vor allem deshalb, weil unsere westlichen Partner schweizerische Ausnahmen niemals akzeptieren würden.
Bereits heute wird unser Abseitsstehen kritisiert. So etwa durch die deutsche Bundesregierung, welche eines der engsten politischen, wirtschaftlichen und weltanschaulichen Partnerländer der Schweiz vertritt.
Gegen ein Käsebrot
Dies sollte uns schwer zu denken geben. Boykottbrecher leben wirtschaftlich gefährlich, wie das die französische Bank Parisbas in einem anderen Zusammenhang erfahren hat. Boykottbrecher, welche die russische Armee ausgerechnet jetzt und ausgerechnet an einer Flugschau feiern wollen, zeigen ausgesprochen schlechten Geschmack. Ebenso Boykottbrecher, welche zum gegenwärtigen Zeitpunkt Putin mit einem Staatsbesuch die Ehre erweisen wollen. Boykottbrecher schlafen aber wohl auch schlecht, wenn menschliches Leben buchstäblich gegen ein Käsebrot aufgewogen wird.