Noch klingt es bombastisch nach, im leeren Tonhalle-Saal. Krysztof Penderecki hat eben die Probe für sein „Concerto grosso“ beendet und die Musiker des Tonhalle-Orchesters applaudieren Penderecki spontan. Applaus gibt es aber auch für die Musiker, diesmal kommt er von Penderecki. Schliesslich: Applaus der Musiker für die Solisten. Es sind drei Cellisten. So hat man’s doch gern. Und so ist es nicht immer. Und so war es auch nicht, als Penderecki vor Jahren das letzte Mal in Zürich war und zur musikalischen Avantgarde gehörte.
„Damals habe ich noch ganz andere Musik geschrieben“, sagt er. „Ich kann mich gut erinnern: damals war es natürlich auch ein ganz anderes Orchester. Den Musikern hat meine Musik überhaupt nicht gefallen. Natürlich haben sie sie gespielt, aber zwischen uns ist keine Freundschaft entstanden.“ Heute hingegen, scheint es Liebe auf den ersten Ton zu sein. „Ich bin erstaunt, was für ein gutes Orchester das jetzt ist. Wunderbare Musiker! Und sie sind so freundlich. Sie kommen zu mir und sagen, wie schön meine Musik doch sei und wie gut sie zu spielen ist.“
Inzwischen sitzt Krysztof Penderecki im kleinen Dirigentenzimmer, kann einen Schluck Mineralwasser nehmen, zur Ruhe kommen und sich über die gelungene Probe freuen.
Avantgarde – das war gestern
Penderecki. Das ist so eine Art Synonym für zeitgenössische Musik. Es ist ein Name, der einem bei diesem Thema zuerst in den Sinn kommt. Seit rund fünfzig Jahren gibt es Krysztof Penderecki im Musikgeschäft. Als 26-jähriger shooting star hat er 1959 in Warschau als Jung-Komponist die Bretter der Konzertwelt betreten und ist seither als Komponist und Dirigent weltweit unterwegs. Nach wie vor umstritten. Nach wie vor erfolgreich.
„Ich lebe jetzt und ich schreibe Musik für Menschen, die jetzt leben“, sagt er dezidiert und mit freundlichem Lächeln. „Meine Musik ist nicht von vorgestern oder gestern.“
Seine Musik ist von heute und hat mit Avantgarde nichts mehr zu tun. „Avantgarde – das war gestern“, erklärt er. „Die Avantgarde war eine wichtige Phase in meiner Entwicklung. Aber heute ist Avantgarde passé.“ Sein neuer Stil, das ist eine Kombination aus Innovation und Tradition. Eines der Stücke, die er in Zürich aufführt, ist das „Concerto grosso“. „Schon der Titel klingt doch barock“, so Penderecki. „Manchmal benütze ich, einfach so zum Spass, auch barocke Techniken für die Instrumente. Insbesondere für die Celli – und es sind in diesem ‚Concerto grosso‘ drei Celli! Ich habe versucht, das Stück so zu schreiben, dass jeder Cellist Kadenzen zu spielen hat. Es gibt keinen ersten, zweiten oder dritten Cellisten. Es sind drei Cellisten, die miteinander und manchmal auch gegeneinander spielen und Spass dabei haben.
Streichmusik
Mit Streichinstrumenten kennt Penderecki sich aus. Er war selbst Geiger, hat auch Bratsche gespielt und ist auch mit dem Cello vertraut. „Die meisten Stücke, die ich für Solostreicher geschrieben habe, waren für das Cello“, erklärt er. „Ich war befreundet mit Siegfried Palm. Er war Ende der 50-er Jahre DER Interpret der Avantgarde, aber auch für Mstislaw Rostropowitsch habe ich viele Werke komponiert.“
Und natürlich für Anne-Sophie Mutter. Ihr hat er das Stück „Metamorphosen“ gewidmet und mit ihr geht er nächstes Jahr wieder auf Tournee. Dann soll auch das neue Werk fertig sein, das er für sie schreibt. „Es ist ein Stück für Geige und Kontrabass. Das hat sie sich so gewünscht. Ich glaube, es ist eine grosse Inspiration beim Komponieren, wenn man einen Künstler persönlich kennengelernt hat. Das wichtigste ist, zu wissen, wie die Künstler spielen.“ So kann er dieses Stück Anne-Sophie Mutter sozusagen massgeschneidert auf die Geige schreiben.
Mit Paul Sacher, dem grossen Vorkämpfer und Mäzen für zeitgenössische Musik, hatte Krysztof Penderecki kaum zu tun. „Er bevorzugte damals eine andere musikalische Richtung. Er unterstützte zum Beispiel Pierre Boulez und ich war immer ein Gegner von Boulez“, bekennt er freimütig und fügt noch bei: „Die Musik von Boulez ist inzwischen verschwunden, sie hat sich nur kurze Zeit gehalten. Wir waren eigentlich Feinde, und sind es jetzt noch…“
Krysztof Pendereckis Musik dagegen ist noch da. Auch wenn sie inzwischen in eine andere Richtung geht als zu Beginn. Neo-Romantik ist jetzt das Stichwort, was Verfechter der Avantgarde dazu gebracht hat, Penderecki als Verräter anzusehen. Das kümmert ihn allerdings wenig.
Sackgasse
Die Musik der Avantgarde hatte ihn in eine Sackgasse geführt. Um wieder nach vorn schauen zu können, musste er zunächst den Rückwärtsgang einlegen. „Nach der Zeit der Avantgarde habe ich als erster angefangen, einen Dialog mit der Vergangenheit in der Musik aufzunehmen. Das haben andere nicht gemacht. Wohl weil sie Angst hatten vor der Reaktion der Kritiker. Mich haben die Kritiker natürlich auch drangenommen, aber bitte: meine Musik gibt es noch und sie wird überall gespielt.“
In der Tat gastiert Penderecki mit seiner Musik in aller Welt. Und wie reagiert man in den verschiedenen Ländern auf seine Musik? Gibt es da Unterschiede? „Heutzutage findet man überall ein gutes Publikum, denn es gibt auch überall hervorragende Musiker und grossartige Orchester. Da gibt es keinen Unterschied zwischen Deutschland, Japan oder Südamerika. Ich finde mit meiner Musik überall ein begeistertes Publikum.“
Manchmal sind es aber auch andere Dirigenten, die seine Stücke aufführen. Und manchmal sitzt Penderecki dann als aufmerksamer Zuhörer im Zuschauerraum. „Ich habe es gern, wenn andere meine Musik spielen. Ich kann ja nicht alles allein machen.“ Und ist er dann manchmal auch ein kritischer Zuhörer? „Ich akzeptiere andere Interpretationen und andere tempi. Aber da ich ja meine eigene Musik sehr oft auch selbst aufführe, habe ich natürlich ganz bestimmte Vorstellungen, wie sie klingen muss. Und wenn es dann ganz anders tönt, dann kann ich das nicht akzeptieren. Allerdings glaube ich nicht, dass ich der grösste Interpret meiner eigenen Musik bin. Nein, ganz bestimmt nicht…“
Leben. Weiterleben. Überleben
Neben der Musik hat Krysztof Penderecki noch eine ganz andere grosse Liebe. Bäume. Bäume, die langsam wachsen und den Menschen oft um Jahrzehnte und Jahrhunderte überleben. Sie sind der bodenständige, festverankerte Gegensatz zu luftig-flüchtigen Musik. Wie kam es aber zu dieser Leidenschaft für Bäume? „Das ist genetisch bedingt“, lacht er. „Mein Ur-Grossvater war Förster und mit meinem Grossvater bin ich durch die Wälder spaziert. Schon als Fünfjähriger musste ich die lateinischen Namen der Bäume lernen.“ Schon sehr früh kam er auf die Idee, ein Arboretum an zulegen. 1‘800 Arten umfasst diese Baum-Sammlung heute und sie erstreckt sich auf einen Park von 30 Hektaren.
Wenn Penderecki bei sich zuhause in Polen ist, streift er gern durch seinen Park. Fliegen ihm dann auch Melodien zu, wenn der Wind durch die Blätter seiner Bäume säuselt? „Die Ideen kommen mir oft, wenn ich bei den Bäumen draussen bin. Aber niemand weiss genau, warum es so ist, dass der eine Musik schreiben kann und der andere nicht, obwohl er vielleicht auch Musik studiert hat. Das ist ein Geheimnis.“
Und was bedeutet ein Baum für ihn? „Leben. Weiterleben. Die Bäume werden mich überleben. Sie bleiben. Wenn die Musik nicht bleibt, dann bleiben die Bäume…“