Die Schweiz ist meines Wissens das einzige Land, das Statsoberhaupt und Regierungschef, und damit auch den höchsten Aussenpolitiker des Landes, nicht nur in einer Person vereinigt, sondern diese Person auch jedes Jahr auswechselt. Die sieben Bundesräte, unter denen das Amt zirkuliert, sind zudem wenig erfahren und bewandert im Verkehrsgetöse der internationalen Beziehungen. Sie nehmen als Fachminister, und mitunter als Regierungschef, nur beschränkt teil an internationalen Treffen teil. Dort, wo diese in der Folge von institutionellen Bindungen (EU, NATO) am intensivsten und häufigsten sind, sind sie ja eben gerade nicht dabei.
Aus schweizerischer und aus chinesischer Sicht
Die historischen Erklärungen und politischen Gründe, warum das beides so ist, sind zahlreich, in verschiedener Beziehung auch einsehbar. Darauf ist hier nicht einzugehen. Was allein zählt sind die in internationaler Perspektive einzigartigen und schwer verständlichen institutionellen Eigenheiten.
Schwer verständlich - oder nur zu gut verständlich. Wo aus schweizerischer Warte, in dubio pro reo, der Besuch von Bundespräsident Maurer bei chinesischen Panzertruppen in seiner Eigenschaft als Verteidigungsminister gesehen werden kann, war er für die Chinesen das erste Staatsoberhaupt und Regierungschef eines westlichen Staates, das den direkten Verantwortlichen des Tienamen-Massakers die Referenz erwies und dieses dann erst noch abhaken will. Womit für Beijing einmal mehr bewiesen wäre, dass westliche Empörung ob Menschenrechtsverletzungen angesichts von Wirtschaftsinteressen so schnell schmilzt wie unsere Gletscher, nämlich immer schneller.
Fehlendes diplomatische Handwerks-Erfahrung
"Non olet", Geld stinkt nicht, sagten die Römer, "Staatsräson" sagte deren direkter Nachfolger Macchiavelli und "Right or wrong, my Country" sagten britische Empirepolitiker. Auch andere westliche Spitzenpolitiker sind zum Kotau vor dem Wirtschaftskoloss China angetreten, aber kaum je so diplomatisch ungeschickt.
Diplomatisch ungeschickt, weil eben das solide Handwerk der internationalen Beziehungen in der Schweiz von Politikern weder je richtig gelernt (als parlamentarischer Staatssekretär etwa oder als Juniorminister) noch, mit Ausnahme des Vorsteher des EDA, über eine längere Zeitdauer auf hoher und höchster Ebene betrieben wird. Ehemalige Kollegen aus Ländern, die neu der EU beigetreten waren, erzählten vom dramatischen Wechsel in ihrem Tageswerk.
Hatte vorher in den meisten Fällen der bilaterale Verkehr dominiert, stand nun europäische und damit multilaterale Arbeit im Mittelpunkt, für sie und für ihre Chefs auf Ministerebene. Diese Knochenarbeit, oft zäh, keineswegs immer erfolg-, aber immer lehrreich, fehlt schweizerischen Ministern und Aussenpolitikern. Mit bilateralen, oft etwas formellen Besuchszeremoniell sind sie zwar vertraut, aber dort lässt man oft angenehm Verbindendes über schwierige Realität triumphieren. Umso grösser dann das Erstaunen wenn vermeintlich "gute Beziehungen" durch wirkliche Probleme jäh verdunkelt werden.
Mit abgesägten Hosen?
An dieser Stelle wird nur die Diagnose aus internationaler Optik einer schweizerischen Eigenart gestellt, nicht deren Remedur bezeichnet. Wir müssen uns aber Rechenschaft darüber abgeben, dass die zwar altvertraute, nichtsdestoweniger eigenartige Vertretung schweizerischer Anliegen gegen aussen ihren Preis hat. Im Fall Maurer/China stehen wir, unnötigerweise, menschenrechtlich gegenüber unseren engsten Partnern im Westen mit abgesägten Hosen da. Das wird uns früher oder später einholen.
(Siehe zu diesem Thema auch den Kommentar in der rechten Spalte)