Nach dem unerwarteten Tod von Claude Nobs, dem charismatischen Gründer und Supremo des Montreux Jazz Festivals(MJF) im Januar 2013 konnte man sich mit Recht fragen, ob mit ihm auch sein Lebenswerk verschwinden würde. Es wird nicht. Das zweite MJF n.N. (nach Nobs), das dieser Tage zu Ende geht war sowohl musikalisch als auch vom Publikumszuspruch her ein grosser Erfolg. Wie sich das eben für die Mutter aller der heute überaus zahlreichen E-Musikfestivals in der Schweiz geziemt.
Mehr Leute als Plätze
Ganz selbstverständlich ist dies nicht. Der Übergang zu einer teilweise verjüngten Equipe unter Stabführung des neuen MJF-Chefs Mathieu Jaton war nur das eine. Der erwähnte enorme Konkurrenzdruck ist weiter zu erwähnen. Insbesondere das Paléo in Nyon, im Gegensatz zum MJF ein Freiluft-Grossevent, wirft seit Jahren Schatten auch auf die Gestade weiter oben am Genfersee. Diese Schatten haben sich mit der rasanten Preisanstieg für Livekonzerte mit Schwergewichten vergrössert. Wer kann und will sich schon mehrhundertfränkige Bilietts für Stevie Wonder Mitte Juli in der Strawinski Hall des MJF und für Elton John Ende Juli auf der ‘Grand Scène’ des Paléo leisten?
Die wohl für diewohlhabenste Region der wohlhabenden Schweiz typische Antwort scheint zu lauten: Jedenfalls mehr Leute als es Plätze hat. Beide Konzerte waren minutenschnell ausverkauft, wobei in Montreux die Fans mehr für ihr Geld kriegen weil sie alle näher dran sind.
Bildhübsche Macbeth-Hexe
Ja, Montreux und seine speziellen Magie. Diese ist am besten an nicht an einem ‘Wunder’- , sondern an einem ‘Durchschnittsabend’ des MJF zu spüren, wie ihn dieser Chronst dieses Jahr erlebt hat. Durchschnitt auf einem sehr hohen Niveau allerdings, mit der, erfolgreich alle Nostalgieregister ziehenden, irischen Bluesröhre Van Morrison. Weiter mit einer der letzten der Königinnnen des Gospels(Mavis Staples), am Stock auf die Bühne humpelnd aber mit intakter Stimme und mit unglaublichem und jungem Leadgitaristen. Beide auf der grossen Bühne in der ‘Strav’. Schliesslich mit dem Kontrapunkt Lykke Li, einer der aufregensten Techno-Stimmen der Gegenwart im MJLab, der umbenannten Miles Davis Hall. Die Schwedin Lykke sieht aus und bewegt sich wie eine bildhübsche Macbeth-Hexe und singt wie eine Tochter, oder wohl eher Enklin, von Janis Joplin, unterlegt nicht mehr von schrill jaulenden, sondern technostampfenden Riffs aber mit derselben Intensität.
Dazu im neugeschaffenen dritten Auditorium MJClub, allerdings ebenfalls mit recht heftigem Eintrittsgeld, eine dem Vernehmen nach sensationelle neue Rockengelsstimme (Melanie di Blasio), von der ihr, noch mit Stones, Beatles und The Who aufgewachsener Chronist im Vorfeld nicht einmal den Namen je gehört hatte. Dazu immerhin zahlreiche ‘After’ -events in ‘Club’ und ‘Lab’, gratis, wie ja auch die openair Gratiskonzerte rund um die Kongressgebäudlichkeiten welche seit jeher mit zur einmaligen ‘Montreux’ Athmosphäre beitragen.
Rocknostalgie und Zukunftsrock
Zur MJF-Magie gehört weiter das Flanieren an der Seemeile von Montreux, dem Herz der Wadtländer Riviera, welche wärend des Festivals voll, aber nie übervoll-qualvoll daherkommt. Wo man sich trotz langer Schlange im Minutentakt einen delikaten ‘Holy Cow’-Burger praktisch direkt aus der Küche der Hotelfachschule Lausanne kaufen, und diesen anschliessend im Strandpavillion der ‘Vins vaudois’ verzehren kann. Und dies in Gegenwart von Pierre Keller, einem neben dem verstorbenen Nobs weiteren Waadtländer Kultururgestein mit weltweiter Ausstrahlung, welcher vom Direktionsstuhl der angesehenen Lausanner Kunsthochschule verzugslos auf den Präsidiumssessel der kantonalen Weinbauern gewechselt hat.
Ja, das MJF wird wohl bleiben. Es scheint die Kurve von der Vergangenheit in die Gegenwart und die Zukunft der E-Musik mit einem eleganten Mix zu nehmen. Ein Mix von solider Rocknostalgie und vielversprechendem Zukunftsrock. Die Van Morrisons’ und andere Mick Jaggers’, ebenso wie ihre lebenslangen Fans, werden in absehbarer Zeit nicht mehr zu den Hohetempeln des Rocks, wie eben dem MJF pilgern können. Für Nachwuchs in beiden Kategorien scheint indes gesorgt. It’s only RocknRoll but we like it.