In einer in diesem Frühling veröffentlichten Studie stellt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) fest, dass Griechenland wieder wächst – im Jahr 2017 mit 1,3 Prozent. Gemäss dieser Organisation dürfte sich diese Entwicklung 2018 und 2019 beschleunigen mit Zuwächsen des Bruttoinlandproduktes (BIP) von über 2 Prozent. Auch bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen macht Hellas riesige Fortschritte, hat das Land doch 2016 und 2017 Primärüberschüsse von 3,5 Prozent des BIP erwirtschaftet – nota bene ganz deutlich mehr als mit den Geldgebern vereinbart. Dieses Jahr wird ein noch höherer Primärüberschuss (Überschuss der Staatsrechnung vor Zinsen und Amortisationen) in der Grössenordnung von 3,7 Prozent erwartet.
Diese schönen Entwicklungen sind aus verschiedenen Gründen bemerkenswert.
Nachhaltiges Wirtschaftswachstum
Einerseits ist es positiv, dass sich das jetzige Wirtschaftswachstum stärker auf die Exporte stützt und weniger auf den Konsum wie in der Vergangenheit. Während die Exporte vor zehn Jahren 24 Prozent des BIP betrugen, sind es nun 34 Prozent. Sicher ist ein Wachstum, das durch Konsum und auf Pump befeuert wird, wie das griechische in der Vergangenheit, ein Strohfeuer. Es ist gut, dass das Land nun davon Abstand nimmt.
Allerdings hat Hellas einen sehr hohen Preis für die wiedergewonnene Wettbewerbsfähigkeit bezahlt. Diese wurde nicht durch Rationalisierungen und Investitionen erreicht, sondern durch für die Betroffenen brutale Lohnkürzungen. Bei praktisch gleichbleibenden Lebenshaltungskosten müssen viele Menschen mit Monatslöhnen von 400 bis 700 Euro überleben. 1000 Euro gelten als ein schöner Monatslohn.
Brutale Haushaltskonsolidierung
In Bezug auf die Haushaltskonsolidierung muss man erstens klar festhalten, dass diese an sich schon extrem ambitiösen Ziele ausgerechnet von der radikalen Linken, einer unerfahrenen Regierung, übererfüllt wurden. Das Land, das noch vor drei Jahren finanziell als schwarzes Schaf galt, mausert sich zum Musterschüler. Diese Entwicklung stellt allen Vorgängerregierungen seit der Wiedererlangung der Demokratie 1974 ein wirtschaftliches Unfähigkeitszeugnis aus.
Zweitens muss man sagen, dass diese Konsolidierung wie auch das Wachstum auf dem Buckel der Menschen erreicht wurden. Der Regierung gelang, was keiner Vorgängerregierung gelang – sei es, weil zuvor der Wille gefehlt hat, sei es wegen Unfähigkeit der Vorgänger. Zudem war die Steuerhinterziehung endemisch.
Im Frühling, als ich auf unserer Insel beim Haus zum Rechten sah, ging ich auch bei der Strandbar vorbei. Diese war offen, der Strand aber ausgestorben. Ich mag es, barfuss über den langen Strand zu gehen, die Sonne zu geniessen und einen griechischen Kaffee zu schlürfen. Als ich diesen bezahlen wolle, hatte ich kaum Kleingeld.
„Haben Sie Karten?“ fragte die Frau an der Bar.
Ich hatte und zahlte bargeldlos. Damit war es nicht möglich, meinen Kaffee nicht zu tippen und das Geld an der Steuer vorbeizuschmuggeln.
Noch immer massive Steuerhinterziehung
Das wäre noch vor drei Jahren undenkbar gewesen. Griechenland war bis vor einigen Jahren praktisch komplett eine Bargeldwirtschaft. Nun gibt es seit dem Beinahezusammenbruch im Juli 2015 Kapitalkontrollen und strenge Bezugslimiten bei den Banken. Die Menschen sind also gezwungen, auf Karten auszuweichen, und die Geschäfte müssen diese auch akzeptieren, weil die Regierung das Bargeld austrocknet.
Allerdings verfangen sich in diesem Netzt immer noch vor allem die kleinen Fische, die grossen lässt man immer noch laufen. Ärzte, die keine Quittungen geben und auf Bargeldzahlung bestehen, werden nach wie vor kaum belangt. Dafür verfügt Griechenland kombiniert mit den Sozialversicherungsabgaben über Steuersätze, die in Europa rekordverdächtig sind. Der Anteil der Steuereinnahmen am BIP bleibt aber verhältnismässig niedrig. Das ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass Steuerhinterziehung nach wie vor alltäglich ist. Wie muss es da vor einigen Jahren erst zugegangen sein!
In einem einigermassen steuerehrlichen Umfeld könnten die Sätze deutlich gesenkt werden. Zusätzlich gibt es nach wie vor Sondersätze in Branchen, wo man es nicht vermuten würde und wo es volkwirtschaftlich ineffizient ist: Dass es Sondersätze für die Hotellerie gibt, mag noch angehen und kommt auch in anderen Ländern – sprich: in der Schweiz – vor. Dass aber Casinos und Wettfirmen sowie die qualitativ jämmerlichen Privatfernsehstationen Steurrabatte geniessen, kann man einem unter der Steuerlast ächzenden Kleinunternehmer oder Freiberufler nicht erklären.
Gelingt der Schritt aus dem Hilfsprogramm?
Ende Juni soll Griechenland anlässlich des Treffens der Eurogruppe die letzte Kredittranche erhalten. Dann muss das Land seine Schulden wieder an den Kapitalmärkten refinanzieren. Ob das gelingt, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Erstens könnte ein beschleunigtes Wachstum dazu führen, dass der Schuldenberg leichter zu finanzieren ist. Es müsste also nachhaltiges Wachstum erzielt werden.
Ganz schlecht ist aber zweitens Unsicherheit: Sollten Ereignisse in Italien dazu führen, dass die Risikozuschläge wieder steigen, würde das eventuell dazu führen, dass sie das auch in Griechenland tun und dass das Land wieder Finanzierungshilfe braucht.
Und drittens sagt jeder vernünftige Ökonom, dass die Staatsschulden Griechenlands nach wie vor nicht finanzierbar sind. Der Schuldenberg ist schlicht zu gross. Deshalb haben die Märkte weitgehend einen Schuldenschnitt akzeptiert. Dass eine gewisse Reduktion der Schulden nötig ist, wissen auch die Gläubiger. Aber über das „Wie“ besteht nach wie vor keine Einigkeit. Sollte dieser Schuldenschnitt wie bisher auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben werden, kann das wiederum zu Unsicherheit führen. Angesichts des hohen Schuldenstandes kann selbst ein geringer Zinsanstieg dazu führen, dass Griechenland Hilfe braucht.