Fünf aktuelle Beispiele zeigen, wie und warum politische Herausforderungen an die Schweiz oft auch aussenpolitischer Natur sind.
Nicht weniger als fünf Geschichten dieses Jahresendes, in den Medien unter ‘Schweiz’, ‘Wirtschaft’ und ‘Sport’ erzählt, haben alle zumindest einen aussenpolitischen Kern. Anzufangen ist mit der Bilanz des bundespräsidialen Jahres von Ueli Maurer. Ihm kann nicht vorgeworfen werden, nur eine Schweiz, jene des Igels, vertreten zu haben. Diese Haltung seiner Partei - und seine eigene - war bekannt und zu erwarten.
Stossend ist hingegen seine Geringschätzung all jener gegenüber, welche seine Gesinnung nicht teilen. Wenn er, wie anlässlich seiner Rede am Europa Forum in Luzern, ‘braune und rote Horden der Vor- und Nachkriegszeit’ in der Schweiz in direkten Zusammenhang stellt mit dem ‘Unbehagen im Kleinstaat’ des grossen Schweizers und konservativen Patrioten Karl Schmid, dann stösst das vor den Kopf und ist auch lächerlich.
Verharmlosende Äusserungen zu Tienanmen
Maurers präsidialer Auftritt in Beijing – Präsenz als erstes westliches Staatsoberhaupt an einer chinesischen Militärparade und verharmlosende Äusserungen zu Tienamen – war nicht nur aus freiheitlicher Warte stossend, sondern auch sachlich falsch, weil nicht zielführend. Bekanntlich respektieren nämlich die Chinese ein bestimmtes, klares Auftreten. Vorauseilende Anpassung nützen sie jedoch gnadenlos aus.
Entgegen seiner wiederholten Litanei auf der grossen internationaler Bühne, auf welche er nur als schweizerisches Staatsoberhaupt Zutritt hatte, ist die Schweiz kein Kleinstaat, kann also auch nicht deren Vorkämpfer sein, noch ist sie Symbol eines von Goliath bedrohten Davids. Uns vergleichbare Länder wie Österreich, die Skandinavier und die Beneluxstaaten eifern aussen- und europapolitisch in keiner Weise der Schweiz nach.
Putins Spiele
Zweitens: Sportminister Maurer und andere Bundesräte werden sich zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi begeben. Je nach Sichtweise, um unsere Spitzenathleten anzufeuern oder um einen Abglanz helvetischer Medaillen – welche wir uns alle wünschen – zu erhaschen. Man kann über das politische Moment im Sport in guten Treuen uneinig sein.
Unbestritten dürfte hingegen sein, dass Sotschi Putins Spiele sind. Er, der Zar-Präsident, der Russland völlig dominiert, wird sich dort huldigen lassen. Darum haben höchste Vertreter unserer engsten Partnerländer ihre Teilnahme abgesagt, ohne natürlich dasselbe von ihren Sportlern zu verlangen. Dieser Weg würde auch der Schweiz an- und offen stehen.
Grobe Unhöflichkeit
Zwei weitere grosse Aktualitäten werden in der Schweiz primär unter wirtschaftlichen und innenpolitischen Vorzeichen gesehen und entsprechend behandelt. Zu Unrecht, denn sie sind auch eminent aussenpolitischer Natur. Wie bitte würden wir reagieren, wenn das europäische Parlament das EU-Verhandlungsmandat für die bilateralen Verhandlungen mit der Schweiz mit dem Vorbehalt versehen würde, dass ein Staat wie die Schweiz nicht als Mitglied aufgenommen werden könne? Genau dies, im umgekehrten Sinn, hat offensichtlich eine Mehrheit der APK (aussenpolitische Kommision) des Nationalrates getan, indem sie dem Bundesrat auf den Verhandlungsweg das Caveat mitgab, ‘wir werden aber der EU nie beitreten’.
Das ist eine grobe Unhöflichkeit, weil es von Geringschätzung des gesamteuropäischen Friedens- und Einigungswerkes zeugt. Und es ist töricht, weil auch die Schweiz als in ihrem Wesen als Willensnation verschiedener Teile zutiefst europäisches Land der EU eines Tages beitreten wird. Leider werden wir wohl erst dann diesen aussenpoltischen Schritt tun, wenn wir dazu aus wirtschaftspolitischen Gründen gezwungen sind.
Unakzeptable Isolation
Dies könnte schon eher früher als später Tatsache werden. Dann nämlich, wenn eine Mehrheit im Februar die unselige Masseneinwanderungsinitiative der SVP annimmt. Brüssel hat keinen Zweifel daran gelassen, dass dies den Ausschluss der Schweiz von der Personenfreizügigkeit bedeuten würde, gefolgt wohl von weiteren Kündigungen bilateraler Abkommen. Eine solche Isolation in Europa dürfte für eine grosse Mehrheit unerwünscht, und für weltoffene Schweizer völlig unakzeptabel sein.
Dass Immigration neben zahlreichen Vorteilen auch Probleme mit sich bringt, ist unbestritten. Die Lösung führt aber über international Zusammenarbeit der posperierenden Zielländer in Europa, über arbeitsmarktpolitische und sozialpolitische Massnahmen im Inland und schliesslich auch über lückenlose Durchsetzung bestehender Gesetze gegen Missbräuche. So zum Beispiel bei der illegalen Anstellung von Asylbewerbern.
Dilemma wegen des Armenien-Urteils
A propos Asylbewerber. Das gegenwärtige Seilziehen innerhalb der EU über gemeinsame sicherheitspolitische Anstrengungen, um Konflikte in Afrika im Keime zu ersticken, müsste auch uns in der Schweiz sehr interessieren. Entsprechende Flüchtlingswellen erreichen nämlich Europa als Ganzes, ohne sich um EU-Mitgliedschaften und Masseneinwanderungsverbote zu kümmern.
Schliesslich und fünftens noch zum ‘Armenierurteil’ aus Strassburg. Auch hier ist der ausenpolitische Kern offensichtlich und präsentiert die Schweiz mit einem entsprechenden Dilemma. Akzeptiert sie dieses – in historischer Perspektive zweifelos ungerechte weil in der Sache falsche – Urteil, verliert sie ihre Selbstachtung und legt sich mit Armenien an. Legen wir Rekurs ein, sind die in dieser Sache uneinsichtigen Türken unzufrieden. Was wiederum irgend eine schweizerische Vermittlung im türkisch-armenischen Dauerstreit, mit dem Nebenaspekt Armenien-Karabach, noch weniger wahrscheinlich macht.
Unumgängliche Annäherung an Europa
Mitten in unserer selbstgewählten Isolation sind wir also von Aussenpolitik umfangen. Auf der flachen Welt von heute, im grenzenlosen Europa – von dem auch viele Schweizer grenzenlos profitieren – ist alle nationale Politik auch Aussenpolitik.
Wenn dies einmal der vernünftigen Mehrheit aller schweizerischen Stimmbürger geläufig ist, werden wir zu einem unverkrampfteren Verhältnis zu Europa zurückfinden. Politik und Parteien sind hier gefordert. Zur Aufklärung und nicht zur Schürung von Fremdenfeindlichkeit und Propagierung von illusionärer Abschottung. Die ebenso unumgängliche wie wünschenswerte Anäherung der Schweiz an Europa könnte sich ja auch so abspielen wie eine ähnliche Entwicklung vor rund 150 Jahren. Damals wurde die alte, lose Eidgenossenschaft zum gesunden Bundesstaat weil eine Mehrheit über den lokalen Tellerrand hinaus schaute.