Die Lage an “der gefährlichsten Grenze der Welt” ist aber unverändert kritisch: Nordkorea als globales und schweizerisches Problem.
Man mag sich streiten, ob Nordkoreas Machthaber um Diktator "Baby Kim" Jong-un gefährliche Psychopaten, ermüdende Clowns oder eiskalte Realpolitiker sind. Wahrscheinlich sind sie eine Mischung von allem. Unbestritten ist indes, dass das totalitär regierte, nuklearbewaffnete Nordkorea global an erster Stelle steht, sowohl auf der Liste der schlimmsten und umfassendsten Menschenrechtsverletzungen als auch als Störfaktor für eine friedliche Zukunft im Grossraum Asien-Pazifik (AP) und damit dem Rest der Welt.
Ob dem unwirklichen Schauspiel von rhythmischem Gezappel schwer bewaffneter Soldaten und tüchleinschwingender Maiden anlässlich von Paraden in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjongjang geht oft vergessen, dass sich dahinter eine entsetzliche und bluttriefende Wirklichkeit versteckt. Ein gesamtes Volk wird von einer prunk- und kosumversessenen Machtclique als Geisel gehalten und regelmässigen Hungerkuren unterzogen.
Ein knappes Prozent der rund 25 Millionen Nordkoreaner wird zudem im ältesten und weltgrössten System von Konzentrationslagern nicht nur gefangen gehalten sondern als Unmenschen "ausradiert"`, gefoltert, getötet. Viele müssen sich zu Tode arbeiten oder gehen an Krankheiten zugrunde. Dies ist nicht Propagenda, sondern vom UNO-Menscherechtsrat (MRR) festgestellte Wirklichkeit, wie sie ein letztes Mal im März dieses Jahres der indonesische Sonderbeauftragte des MRR in Genf dem Rat und der Öffentlichkeit präsentierte. (Journal21 hat darüber berichtet)
Stolperstein auf dem Weg zu normalen Beziehungen
Die detaillierte Wirklichkeit in diesen Lagern ist seit rund einem Jahr jedem Interessierten zugänglich: Shin Dong-hyuk ist bislang der einzige Nordkoreaner, welcher in einem KZ geboren und aufgewachsen ist, geistig und körperlich gefoltert wurde und dem Inferno doch entkam. Seine völlig unwirkliche aber detailliert überprüfte Leidensgeschichte konnte er im Westen einem schreibgewandten Journalisten erzählen.
“Escape from Camp 14”, by Blaine Harden, Pinguin 2012, rsp. “Flucht aus Lager 14” ,DVA 2012 ist kurz nach seinem Erscheinen vom deutschen Filmemacher Marc Wiese auch für die Leinwand dokumentiert worden. Der Film wurde an zahlreichen Festivals von Toronto bis Tallin und von Locarno bis Sao Paolo prämiert.
Im Verhältnis zwischen den beiden globalen Supermächten des 21. Jahrhunderts, den USA und China, bildet Nordkorea einen der grössten Stolperstein auf dem Weg zur Entwicklung normaler Beziehungen. Wohl ist Beijing der nordkoreanischen Frasken, Rundumprovokationen und Militärabenteuer längst müde, zwei unveränderte Parameter wiegen aber ungleich schwerer.
Schweizerische Bösewichte
Da ist einmal das Erbe eines gemeinsamen Krieges gegen den “Rest der Welt” - der Koreakrieg wurde ja auf westlicher Seite durch eine UNO-Truppe geführt. Wichtiger ist die wohl nicht unberechtigte Angst, ein wiedervereintes Korea würde Südkorea gleichen und damit zu “westlichem” Symbol und Stachel im Fleisch gleich nebenan werden.
Die USA ihrerseits sind mit Südkorea so eng und institutionell verbunden, dass sie auf jede ernsthafte Provokation Nordkoreas, geschweige den einen Angriff reagieren müssen, allein schon aus Rücksicht auf Seoul und auf Japan - aber auch auf praktisch den gesamten Rest des AP, welcher die strategische Standfestigkeit der USA in ihrer Region mit Argusaugen verfolgt.
Wie die nukleare und strategische Kapazität von Nordkorea entstehen konnte, trotz internationaler Kontrollen (UNO Nuklearorganisation IAEA) und national gelenkter Überwachung, etwa durch die CIA, ist bekanntlich der wohl wichtigste wahre Politkrimi der Nachkriegsgeschichte, in dem auch schweizerische Bösewichte eine zentrale Rolle spielten.
Tinner
Und dies ging so: Der pakistanische Nuklearphysiker Abdul Kadir Khan hatte in den 1970-er Jahren von einem privaten Arbeitgeber in den Niederlanden hochgeheime Konstruktionspläne für Urananreicherung und damit Nuklearwaffen gestohlen. Er entwickelte daraus einen Proliferationshandel, welcher nicht nur zur pakistanischen Bombe (1998 erfolgreiche Detonation der ersten “Islamic bomb”) führte, sondern überhaupt die Basis für alle Nuklearanstrengungen von “Schurkenstaaten” (rogue states) legte, vom Apartheid-Südafrika (Nuklearkapazität aufgegeben) bis Ghadhafis Libyen (aufgegeben) und von Asads Syrien (von Israel zerstört) und Saddams Irak (aufgegeben) bis zum Iran.
Was den Fall Nordkorea aber einmalig machte, war der erfolgreiche Tausch zwischen Pjongjang und Khan von pakistanischer Nuklearkapazität gegen nordkoreanische, ursprünglich sowjetische und chinesische Raketentechnologie. Beide Faktoren müssen zusammenkommen, um eine strategische und nicht nur terroristische (z.B. “dirty bomb”) Gefahr darzustellen.
Dass dies Nordkorea gelang, daran hatte auch die schweizerische Ingenieursfamilie Tinner entscheidenden Anteil. Dies wiederum ist eine andere und lange Geschichte, welche indes mit einem Urteil des Bundesstrafgerichtes im vergangenen Herbst bis in die Gegenwart hinein reicht. Hier wartet auf künftige eidgenössische Historiker eine monumentale Aufgabe, hinter Notrecht, Shredderaktionen und internationalem Druck objektive Wahrheiten ans Licht zu ziehen.
Engagierte Aussenpolitik – eine simple Notwendigkeit
Die zu Beginn erwähnte schweizerische Beteiligung an der Waffenstillstandsüberwachung zwischen den beiden Korea ist aufzuwiegen gegen die 1980-er und 90-er Jahre als, wie der Fall Tinner zeigt, Exporte aus der Schweiz die nukleare Proliferation förderten. Dies trotz voller Beteiligung an internationalen Kontrollmechanismen (Nonproliferationsvertrag, Verbotsregime für gefährliche “Dual use”-Güter). Auch diese Praxis, welche sich erst nach 2000 entscheidend änderte, wird von helvetischer Geschichtsschreibung noch aufzuarbeiten und zu bewerten sein. Für einmal ist aber in Korea die international gute Tat der Schweiz erfolgt, bevor aussenwirtschaftliche Interessen in den Vordergrund rückten.
Das mit der Schweiz eng verbundene Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ist heute wohl die einzige Organisation, die in den nordkoreanischen KZ Linderung schaffen kann. Das IKRK ist zwar heute keine offiziell schweizerische Organisation, wurde aber von der Schweiz inspiriert und wird von ihr entscheidend unterstützt.
Insgesamt ist am Beispiel Korea einmal mehr festzuhalten, dass die von schweizerischen Isolationisten gehätschelte These vom “Kleinstaat, welcher im Ausland keine Interessen hat”, in keiner Weise den Tatsachen entspricht. Wie jeder andere, von Grösse und vor allem Wirtschaftskraft vergleichbare Staat, hinterlässt auch die Schweiz international Spuren und hat entsprechende Interessen. Deren politische, nicht nur wirtschaftliche Relevanz lässt die Führung einer aktiven, engagierten Aussenpolitik als simple Notwendigkeit erscheinen.